Lebensgeschichte von Boureima
(Katrin Rohde)

Sie war so leicht, die Mutter, der große Sohn konnte sie ohne weiteres vier Kilometer auf dem Rücken tragen. Sie war so lange krank gewesen, alle sieben Kinder lebten von der Güte und den Resten der Nachbarn im Vorort Dassassgo. Früher gab es noch ihren Ehemann, er hatte immerhin genügend Geld verdient, um die Kinder zur Schule zu schicken, aber er war schon lange tot. Weil er so ein guter Mann gewesen war und immer an seine Nachbarn abgegeben hatte, wurden die Kinder einfach miternährt, aber so konnte es nicht weitergehen. Nun hatte der große Sohn gehört, dass es eine Weiße gab, die in manchen Fällen helfen konnte.

Als die Familie noch komplett war, hatte es sogar einen Fernseher im Hause gegeben, und alle Nachbarn saßen gemeinsam davor. Aber nach dem Tode des Vaters, der Beamter gewesen war, wurde der Fernseher verkauft und mit ihm alles, was überhaupt einen Wert hatte.

Als es schließlich nichts mehr zu essen gab, ging der älteste Bruder mit Boureima, der damals zwölf Jahre alt war, nachts mit dem Eselskarren des Nachbarn in den Wald, um verbotenerweise Bäume zu schlagen. Es war kalt, Boureima hatte nur Shorts. Sie zogen den Karren ohne Esel zehn Kilometer weit. Oft gingen sie um ein Uhr nachts los und kamen um sechs schwer mit Holz beladen zurück, danach musste er dann schnellstens in die Schule. Trotzdem lernte Boureima gut. Vom Verkauf des Holzes konnten sie jedenfalls die kleinen Brüder und Schwestern ernähren; die Kleinsten, die Zwillinge, waren acht Jahre alt. Beide waren krank, sie hatten kaum noch Haut am Körper, die Krätze hatte sie fest im Griff. Medikamente waren unbezahlbar. Da die Mutter so krank war, konnte man sich um die Zwillinge gar nicht kümmern – alle Sorge galt der Mutter.

Zu dieser Zeit war ich bereits umgezogen und wohnte mit acht ehemaligen Straßenjungen in Ouemtenga, die Menschen begannen, vor meiner Tür um Hilfe zu bitten.

Und so kam es, dass der große Sohn mit seiner Mutter auf dem Rücken in meinen Hof kam und sie dort sanft absetzte. Ich hörte seine Geschichte an und fuhr mit den beiden im Kleinbus zu ihrer Hütte.

Dort angekommen, fand ich ein leeres, halb zerfallenes Haus, buchstäblich leer bis auf eine Matte und eine alte Bank, auf der sechs dünne Kinder still mit gesenkten Köpfen saßen und auf ihre letzte Chance warteten, nämlich auf mich. Ich hatte keine Worte. Mein Herz tat weh.

Ich ließ Geld für Reis da und kam am nächsten Morgen zurück. Wir fanden einen Arzt, der die Mutter zu jeder Zeit an den Tropf legen konnte, der an einem rostigen Nagel an der Wand hing. Ich zahlte Schulgeld, Essen und Bekleidung für alle Kinder. Die Medikamente waren teuer, auch die Krätze der Zwillinge wollte nicht heilen. Fünf Monate später starb die Mutter. Hier sagt man: »Gebe Gott, dass die Erde leicht auf ihr laste.«



Letzte Aktualisierung dieser Seite: 18.05.2010 (M. Basfeld)