Erfahrungen auf der Straße

(Bruder Lothar Wagner SDB und Ulf Prokein, Freetown)
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

1. Drogen
Straßenkinder gaben an, auf der Straße regelmäßig entweder Zigaretten (32,6%) oder Marihuana (24%) zu rauchen. Weitaus mehr Kinder nehmen fast täglich billige Schlaftabletten und/oder Schmerzmitteln ein (67,2%). Fast alle Kinder (94,2%) haben auf der Straße bereits Alkohol konsumiert, wogegen aber „nur" 12,8% berichteten, regelmäßig zu trinken (Schnaps in Wassereistüten, Palmwein, Alcopops, Bier).
 
Als Gründe für die Einnahme von Drogen werden der Einfluss von Gleichaltrigen, das dadurch entstehende Zugehörigkeitsgefühl zur Peer Group sowie das Vermindern von Angstzuständen genannt. Die Jungen berichteten den Sozialarbeitern, dass sie nach der Einnahme von bestimmten Drogen mutiger auftreten, mehr Selbstwertgefühl entwickeln und in Folge dessen ohne Skrupel zum Stehlen in Geschäften, auf den Marktplätzen oder in Kleinbusen unterwegs sind.
 
Populär unter den Straßenjungen ist das Schmerzmittel „Blue Boots", weil es große und schnelle Wirkung erzielt sowie günstig und überall im Straßenverkauf zu erhalten ist.
 

2. Gewalt

Straßenjungen erleben täglich physische und psychische Gewalt durch Gleichaltrige, Bekannte, Geschäftsleute, Passanten und sogar durch die Polizei und das Militär. Diese Erfahrungen prägen die Sozialisation und die Entwicklung der Straßenjungen insgesamt.
 

Zwei von drei Jungen gaben an, dass ihnen durch vermeintliche Freunde Gewalt  unterschiedlicher Staerke angetan wird. Von den unter 12jährigen berichteten sogar 75,8% von an ihnen vorgenommenen sexuellen Handlungen durch ältere Straßenjungen. Straßenkinder berichteten in den Interviews, dass über sexuelle Aktivitäten die Rolle und die Position eines Kindes in der Straßenkinderclique bestimmt werden.

 

Es spricht für sich, dass fast alle Kinder (93%) während des Begegnungstages in Don Bosco Fambul Bilder über ihnen zugefuegte physische Gewalt malten. In Gesprächen mit den Kindern gaben sie an, dass ihnen meist Gewalt angetan wird, wenn sie sich weigern, erarbeitetes, erbetteltes oder gestohlenes Geld an ältere Straßenjungen (51%) oder an die Polizei (25,6%) abzugeben. Es wird also den jüngeren Straßenkindern (unter 14 Jahren) regelmäßig weitaus mehr Gewalt angetan (78%) als den älteren (46%), die dadurch auch weitaus mehr arbeiten müssen, um täglich eine Mahlzeit zu erhalten.
 
Ältere Straßenjungen (14-17 Jahren) hatten Gewalterfahrungen im Rahmen von Glückspielen bei verlorenem bzw. nicht ausgebezahltem Geldgewinn (36,7%). Die Angst vor Gewalt ist auch in fast 80% Faellen der Grund des dauernden Wechsels des Schlafplatzes.
 
Während fast alle Straßenjungen, die länger als ein halbes Jahr auf der Straße leben, homosexuelle Aktivitäten mit oder ohne Zustimmung  erfahren (89,2%), gehen nur wenige Straßenjungen der Prostitution nach. Das kann zum einen daran liegen, dass Homosexualität in der Gesellschaft und damit auch unter den Kindern verpönt ist, zum anderem jedoch auch an der sozialen Kontrolle der Straßenkindergruppen.
 
Während die Straßenmädchen eher vereinzelt oder zu zweit auf dem mehr oder weniger öffentlichen Straßenstrich unterwegs sind, treten die Straßenjungen meist in geschlossenen Gruppen auf. Sozialarbeiter berichteten nur vereinzelt von Erwachsenen, die den  Straßenjungen unter dem Vorwand, ihnen eine Unterkunft, Essen oder Geld anbieten zu wollen, zu sich nach Hause einladen, um sie anschließend sexuell gefügig zu machen. Dabei achten die fremden Erwachsenen darauf, von der Gruppe isolierte Straßenjungen bzw. Einzelgänger anzusprechen.

 

3. Erfahrungen mit der Polizei

Die Straßenkinder haben den Sozialarbeitern vielfach über negative Erfahrungen mit der Polizei sowie dem Militär berichtet. So gaben 32% der beteiligten Straßenjungen an, körperliche Gewalt durch Polizisten erlebt zu haben. Kinder berichteten beispielsweise, dass sie ohne Grund und unter fadenscheinigen Vorwänden von der Polizei verhaftet wurden. Polizisten zwangen Straßenkinder, für sie zu arbeiten. Ein Kind berichtete, dass es für einen Polizisten Wäsche waschen musste, andere Kinder erzählten von unentgeltlichen Trägerarbeiten sowie Hausarbeiten. Nachdem die Arbeit dann gemacht war, wurden die Kinder wieder laufen gelassen. Die Polizisten, die eigentlich für Recht und Sicherheit auf den Straßen Freetowns sorgen sollen, machen sich so schwerster Menschrechtsverletzungen von brutalem Zusammenschlagen bis zu Zwangsarbeit schuldig.
 
Während des Begegnungstages wurden die Straßenkinder aufgefordert, ihre Erfahrungen auf ein Blatt Papier zu malen. Es ist auffällig, dass 70% der anwesenden 162 Kinder Erlebnisse mit der Polizei malten. In mehr als die Hälfte der Zeichnungen malen sich die Straßenjungen selbst, gemeinsam mit Polizisten, die sie entweder in Handschellen abführen oder verprügeln. Ebenso viele (52%) schrieben in ihren Briefen an den Präsidenten von schlechten Erfahrungen und Erlebnissen mit der Polizei. Sie berichten davon, dass Polizisten den Kindern Geld ohne irgendeinen Grund wegnehmen. Wehren sich die Kinder, drohen Prügel oder sogar willkürliche Verhaftungen. Ein Straßenjunge berichtete, dass er von einem Polizisten gezwungen wurde, sexuelle Handlungen an ihm vorzunehmen. 16 Straßenjungen (fast 10% der am Begegnungstag in Don Bosco Fambul teilnehmenden Jungen) berichteten glaubhaft und teilweise unter Tränen, dass sie von Polizisten nachts während dem Schlaf geweckt wurden und bis zu fünf Minuten von mehreren Polizisten verprügelt wurden.
 
Senesie, 15 Jahren, berichtet: „Nachdem ich überall Schmerzen spürte, zwangen mich mehrere Polizisten – die ich nicht  erkennen konnte, da mein Augen geschwollen waren –, aus einer Pfütze stinkendes Wasser zu trinken". Ähnliche Erfahrungen berichtete ein anderer Jugendlicher einem Sozialarbeiter. Nachdem er dazu gezwungen wurde, Wasser aus einer Pfütze zu trinken, musste er sich übergeben. Die Polizisten zwangen ihn dann sogar, das Erbrochene wieder zu sich zu nehmen. So verwundert es nicht, dass alle (100%), der beteiligten Kinder Angst vor Polizisten haben.
 
Straßenjungen berichten von ihren Freunden, die von der Polizei ohne Grund verhaftet wurden und nun im Gefängnis ohne jeden rechtlichen Beistand sitzen. Straßenjungen artikulieren so ihre Angst, in Gefängnisse weggesperrt und vergessen zu werden.
 

Auf dem Begegnungstag entschuldigten sich die zehn eingeladenen Polizisten bei den Straßenkindern und bestätigten auch ihr Wissen um die geschilderten Vorwürfe. Auf der anderen Seite versuchten Polizisten Verständnis für ihre Handlungen zu erhalten, indem sie auf ihre schlechten Gehälter verwiesen sowie ihr Verhalten teilweise damit rechtfertigten, dass die Kinder nachts nichts auf der Straße verloren hätten. Zwei Polizisten berichteten, dass sie nachts den Straßenkindern in Gesprächen klarzumachen versuchten, dass sie zu ihren Familien zurückkehren und zur Schule gehen sollten. Ein Polizist empfahl den Kindern, ihre gewalttätigen Kollegen zur polizeilichen Anzeige zu bringen. Das  wiederum stieß auf lautes Gelächter bei den Straßenkindern. Von politischer Brisanz ist auch die Tatsache, dass Soldaten in Uniform, jedoch ohne Namenskennung, nachts regelrecht Jagd auf Straßenjungen machen, allerdings weitaus weniger als gegen Straßenmädchen.

 

4. Erfahrungen mit Nichtregierungsorganisationen (NGO)

Die Straßenjungen äußerten größtenteils Ablehnung gegenüber Nichtregierungsorganisationen (NGO). „Die kommen immer wieder und fragen uns über unser Leben aus", so Ibrahim gegenüber einem Sozialarbeiter. Mustafa ergänzte: „Und sie machen immer viele Versprechungen, was sie nicht alles machen wollen. Dann aber verschwinden sie genauso schnell, wie sie gekommen sind". Es gibt gegenüber Nichtregierungsorganisationen von Seiten der Straßenkinder großes Misstrauen sowie Enttäuschungen.
 

Es wurden keine statistischen Daten erhoben, da diese Äußerungen erst später von einigen Kindern, dann aber bei Nachfrage von den meisten der Kinder, getätigt wurden. Dennoch gibt es auf der anderen Seite auch positive Erfahrungen der Straßenjungen mit NGOs. So berichteten einige Kinder, dass sie bereits in einer privaten Institution gewesen sind, deren Mitarbeiter versuchten sie wieder in ihre Familie zurückzuführen. Aber auch hier gibt es bei den Kindern Enttäuschungen. „Nachdem ich dann wieder zuhause war, waren die Probleme in der Familie ja nicht weg. Ich habe genau die alten Probleme wieder gehabt, und ich landete wieder auf der Straße. Hilfen, wie zum Beispiel die Übernahme

von Schulgebühren, habe ich nicht erhalten" (Peter, 16 Jahre).

 
5. Erfahrungen mit staatlichen Organisationen
Einige der angetroffenen Kinder berichteten von einer neueingerichteten Anlaufstelle des Ministeriums für Soziales, Kinder und Gleichberechtigung. Mitarbeiter dieser Stelle würden Kinder mehr oder weniger dazu zwingen, in diese Einrichtung mitzugehen. Es werde versucht, das Straßenkinderproblem repressiv zu lösen. „Die erzählten mir ganz klar, wenn ich nicht mitkomme, dann werde ich von der Polizei eingesperrt", so Mohamed, 14 Jahre. Auf seine Erfahrungen in der Einrichtung angesprochen, äußert Mohamed negative Erfahrungen. „Es gab wenig bis überhaupt nichts zu essen. Ich wollte wieder zurück auf die Straße, um mir Essen zu besorgen. Aber dann gab es wieder Drohungen der Erzieher".
 
Andere Kinder berichteten über unhygienische Verhältnisse und Mangel an Schlafplätzen. „Die Erzieher sind oft nicht da, und die Kinder machen was sie wollen", so Alie, 15 Jahre. Desweiteren äußerten sich einige Kinder über nicht adäquate Hilfemaßnahmen der Einrichtung. Die Sozialarbeiter von Don Bosco Fambul haben bis heute keine Kenntnis über die neue Einrichtung des Ministeriums, obwohl Don Bosco Fambul Mitglied in mehreren Task Force Gruppen des Ministeriums ist.
 

 

6. Gesundheitszustand der Straßenjungen

Erschreckende Zahlen müssen für den Bereich Gesundheit der Straßenkinder in Freetown konstatiert werden. 47% der befragten Straßenjungen gaben an, krank zu sein (Straßenmädchen 33%). Dieser Befund, dass Jungen öfters krank sind als  Mädchen, könnte daran liegen, dass die Mädchen meist eine nächtliche Unterkunft finden, während Jungen nachts schutzlos im Freien schlafen. So sind z.B. von der Malaria deutlich mehr Jungen betroffen (74,2%) als Mädchen, was durch mangelnden Moskitoschutz zu erklären wäre.
 
Zur Zeit der Erhebung klagten die meisten Jungen jedoch über eine Erkältung mit Husten, Schnupfen und Fieber (47%), gefolgt von Malaria (22,4%), Bauchschmerzen (12,2%), Zahnschmerzen (7,5%) und Hautkrankheiten (4%). Im Großen und Ganzen decken sich diese Zahlen mit der Dokumentation des ärztlichen Check-ups während dem Begegnungstag in Don Bosco Fambul, mit Ausnahme der Hautkrankheiten. 32% der kranken Straßenjungen suchten den Arzt wegen einer Hautkrankheit auf, ein Junge musste sogar stationär behandelt werden. Bei der ärztlichen Untersuchung wurden die meisten Kinder wegen einer Erkältung (36%) oder der Malaria (33,8%) behandelt.
 
Insgesamt wurden drei Straßenjungen aufgrund ihres Zustandes in ein Krankenhaus eingeliefert. 12,4% der Kinder malten während dem Begegnungstag eine Situation, in der sie sich selbst oder einen Freund krank oder verletzt malten. In mehreren Briefen an den Präsidenten beklagen die Kinder fehlende medizinische Versorgung sowie den nichtvorhandenen Zugang zu Medikamente oder Krankenhaus. „Wir haben erlebt, dass ein Freund von uns auf der Straße starb. Er lag einfach tot auf der Straße. Und wir wissen nicht, was mit ihm passiert ist", so sieben Straßenjungen in einem offenen Brief an den Präsidenten von Sierra Leone, Ernest Koroma (Standard Times vom 26.09.2010).
 
Während von den Straßenjungen insgesamt 15 Kinder (1,2%) Körperbehinderungen (acht davon durch Unfälle verursacht)

aufwiesen, kommen jedoch knapp ein Fünftel der Kinder täglich mit Körperbehinderten in Kontakt. Im Bereich der Busstation und am Cotton Tree arbeiten Kinder für erwachsene Behinderte, z.B. bei der Fortbewegung im Rollstuhl, beim Betteln, bei der täglichen Hygiene oder bei Besorgungen von täglichen Bedarfsmitteln.

 

7. Tagesablauf der Straßenjungen

Die Straßenjungen erleben täglich einen sehr rauen Lebensalltag, der durch viel Gewalt, Hunger und Angst geprägt

ist. Der vorliegende Bericht kann nicht annähernd beschreiben, wie brutal der Alltag der Kinder ist. Um den täglichen Überlebenskampf auf der Straße ohne jede familiäre bzw. (nicht)staatliche Unterstützung zu bestehen, geht knapp die Hälfte der Straßenjungen verschiedenen Arbeitstätigkeiten nach. Frühmorgens, vor Öffnung der Geschäfte und Märkte, säubern knapp 10% aller Straßenjungen Eingänge der Geschäfte sowie Marktstände.Hierfür erhalten die Kinder rund 500-1.000 SLL, die sie für ein Stück Brot zum Frühstück ausgeben.
 
Das Säubern und Kehren von Straßenzügen ist  mit psychischem Stress verbunden, da Kinder bzw. Cliquen um diese Arbeit rivalisieren und Absprachen untereinander nicht eingehalten werden. 9,1% der befragten Kinder erhalten andere Arbeiten von Marktfrauen, Restaurantbesitzer oder Geschäftsleute, denen sie meist am Vormittag nachgehen. Marktfrauen lassen Teller waschen, Restaurantbesitzer Tische putzen und Geschäftsleute Waren transportieren.
 
Weitere 9% - meist Kinder, die länger als ein Jahr auf der Straße leben - verkaufen tagsüber kleine Waren, wie Taschenlampen, Süßwaren oder Zigaretten. Diese Kinder halten sich überwiegend im Zentrum auf, während 8% der Befragten in verschmutzten Bächen und kleinen Flüssen am Stadtrandzentrum (Kroo Bay, Susans Bay, Mabella Point) nach verwertbaren Kleinmetallen suchen und anschließend verkaufen.
 
10 von 188 (5,3%) Straßenjungen gaben an, regelmäßig der Prostitution nachzugehen. Neben diesen Arbeitstätigkeiten scheuen viele Kinder (mehr als 40%) nicht davor zurück, direkt Erwachsene um Geld anzusprechen und erbetteln sich so bis zu 5,000SLL täglich, was für ihren Essensbedarf ausreicht. Hierzu gehören vor allem die Kinder rund um die Busstation sowie um den Cotton Tree, die unter den Straßenkindern als „Child begger" bezeichnet werden.
 
Trotz aller Arbeitstätigkeiten streunt der Großteil der Straßenjungen im Stadtzentrum herrum und hält Ausschau auf Diebesbeute, wie Geld von Passanten oder Essbaren an Marktständen. So gaben mehr als die Hälfte der nächtlich Befragten Straßenjungen an, dass sie täglich bereit zum Stehlen sind, falls sie Hunger haben oder attraktive Waren locken.
 
Fast alle Jungen (97%) spielen täglich auf der Straße,  abends meist Fußball (Wilberforce Street, Ecowas Street, u.a.) oder Glücksspiele (Sanni Abbacha Street).
 
8. Der Bildungshintergrund
Nach Angaben der Straßenjungen wurden fast alle (96,2%) in die Grundschule eingeschult. Jedoch war die Verweildauer in der Schule nur von extrem kurzer Dauer, da die Familien das Schulgeld nicht bezahlen konnten. So waren es bereits mehr als die Hälfte der Schulkinder, die den Schulbesuch nach der ersten Klasse nicht mehr fortsetzen konnten. Nur 17% der Straßenjungen haben einen Grundschulabschluss.
 
Die Hälfte dieser Kinder (16) besuchten anschließend die Junior Secondary School, wobei dort nur zwei Kinder den Abschluss machen konnten. Die o.g. Zahlen decken sich in etwa mit einer Stichprobenerhebung. Demnach kann etwa die Hälfte der Straßenjungen nicht lesen und schreiben, was in etwa der Gruppe der Schulabbrecher nach dem ersten Grundschuljahr entsprechen würde.
 
Das Kind, das nicht die Schule besucht, ist weitaus mehr gefährdet auf der Straße zu landen, als die Kinder, deren Familien für den Schulbesuch ihres Kindes sorgen und bezahlen können. Die Schule ist nach Aussagen der Sozialarbeiter von Don Bosco Fambul ein wichtiger Stabilitätsfaktor für den Jungen. Neben kognitiver Bildung erfährt das Kind eine Sozialisation mit Aufbau eines gesunden Selbstwertgefühls.
 
Zum Bildungshintergrund der Straßenjungen gehört auch die Tatsache, dass die Jungen eine außerordentlich hohe Motivation zeigen, wieder in die Schule gehen zu duerfen. 161 von 188 Jungen (85,6%) gaben an, die Chance eines Schulbesuches viel intensiver nutzen zu wollen. Die restlichen 27 Kinder haben ausnahmslos ihr Interesse gezeigt, einen Beruf erlernen zu wollen.
 
Es wurde kein Kind angetroffen, das gerne auf der Straße weiterleben möchte und jede Form von Reintegration in seine Herkunftsfamilie bzw. Großfamilie oder in eine Pflegefamilie ablehnt (im Gegensatz zu den Straßenmädchen). In

den Briefen an den Präsidenten von Sierra Leone plädieren alle Kinder für die Abschaffung des Schulgeldes sowie die Förderung von Kindern aus kinderreichen bzw. armen Familien, damit für alle das Recht auf Bildung verwirklicht werden kann.

 

9. Der Familienhintergrund

Von den 188 befragten Straßenjungen sind 36 Jungen Vollwaise (19,1%) und 49 Jungen Halbwaise (26%). Etwas mehr als die Hälfte der Kinder (50,1%) gaben an, dass beide Elternteile leben, wobei nur 12% dieser Ehepaare zusammenleben. Nur acht der befragten Kinder (4,3%) lebten mit beiden Elternteilen und 13 mit einem Elternteil (6,9%) zusammen, bevor sie die Familie verlassen haben. Demnach lebten 88,8% der Straßenjungen zwar nicht mit den Eltern bzw. einem Elternteil zusammen, jedoch mehrheitlich mit Mitgliedern der weiteren Großfamilie (Tante und/oder Onkel 27,1%, Stiefmutter 17,2%, Großmutter 15,2%, älterer Bruder 11,3%, Eltern bzw. Elternteil 11,2%, ältere Schwester

5,1%, Stiefvater 2%).
 
 
Die Kinder lebten zuvor überwiegend mit kinderreichen Familien zusammen. Knapp die Hälfte der befragten Straßenjungen lebte zuvor mit einer Familie zusammen, die zwischen sechs und zehn Kinder zu betreuen hatte. 19,8% gaben an, dass sie in ihrer letzten Hausfamilie mit mehr als zehn Kindern zusammenleben mussten.


Letzte Aktualisierung dieser Seite: 17.07.2011 (M. Stork)