Die Lebenssituation von Straßenjugendlichen in Berlin (aus der Perspektive der KuB – Kontakt- und Beratungsstelle Berlin, Robert Hall, Peter Brennan, Juni 2011) Die KuB ist ein niedrigschwelliges Hilfeangebot für junge Menschen, deren Lebensmittelpunkt die Straße ist. Innerhalb der angebotenen Hilfen zur Erziehung in Berlin gehört die KuB zum überregional tätigen Berliner Notdienst Kinderschutz in der Trägerschaft des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg.
Mit den drei Kernaufgaben Streetwork, Notübernachtung und Beratung und dreizehn pädagogischen Fachkräften ist die KuB in einer Metropole mit 3,4 Millionen Einwohnern darauf ausgerichtet, in besonderen Notlagen für Straßenjugendlicheim ganzen Stadtgebiet tätig zu werden.
Zur Zielgruppe gehören junge Menschen, deren Lebensmittelpunkt die Straße ist. In der Regel kommen sie aus den Bundesländern und dem benachbarten Ausland. Sie sind physisch und psychisch verwahrlost, bindungslos, mittel- und obdachlos. Häufig sind sie ausgehungert, mangelernährt und in Folge dessen in einem schlechten gesundheitlichem Zustand. Zum überwiegenden Teil kommen sie aus Familien in prekären Lebenssituationen. Den Risikofaktoren in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld wie häusliche Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung konnte in erweiterten familiären, vorschulischen und schulischen Bezügen und mit den Hilfen zur Erziehung nichts nachhaltig entgegengesetzt werden. Eine große Zahl dieser Jugendlichen ist wochen- und monatelang unterwegs und bestreitet den Lebensunterhalt mit Bettelei, Prostitution, Drogen und Kriminalität. Sie sind der Pädagogen überdrüssig und lehnen herkömmliche Jugendhilfeangebote ab.
Lesehilfe: Die Statistik zeigt die Armutsgefährdungsquote in Deutschland nach Bundesländern im Jahr 2011. In Berlin lag die Armutsgefährdungsquote im Jahr 2011 bei 21,1 Prozent. Die Armutsgefährdungsquote ist ein Indikator zur Messung relativer Einkommensarmut und ist definiert als Anteil der Personen mit einem Äquivalenzeinkommen von weniger als 60 % des Bundesmedians der Äquivalenzeinkommen der Bevölkerung in Privathaushalten am Ort der Hauptwohnung. Das Äquivalenzeinkommen wird auf Basis der neuen OECD-Skala berechnet. Ziele der KuB • Kontaktaufbau und –pflege an sozialen Brennpunkten Konzeptionelle Grundsätze der KuB „Wo ein Erziehungsheim ist, da gibt es ein Zuchthaus und hinter dem Zuchthaus kommt das Leichenhaus und hinter dem Leichenhaus kommt der Friedhof."( Bruno S., Schauspieler, geb. 1931 – gest. 2010) Fast alle Straßenjugendlichen haben die gesamte Bandbreite der Jugendhilfe hinter sich. Offensichtlich scheinen die erzieherischen Hilfen, vor allem die sogenannten stationären Hilfen einschließlich geschlossener Unterbringungen, bei den Jugendlichen wenig nachhaltig zu wirken. Diese Entwicklung versuchen wir mit unseren Grundsätzen entgegen zu steuern: Komm- und Gehstruktur Anonymität und Vertraulichkeit Freiwilligkeit Niedrigschwelliger und barrierefreier Zugang
Jugendberatungsbus: Standort Alexanderplatz Szenenahe junge Mütter frequentieren den Bus, suchen Rat und Unterstützung bei den Sozialarbeiter/innen und auch den Austausch untereinander. Roma-Kinder bitten um Obst und Brote, während ihre Mütter meist in gebührendem Abstand warten. Verbale Kommunikation ist wegen fehlender Deutsch- und Englischkenntnisse nicht möglich. Wie in all den Jahren zuvor wird der Alexanderplatz zweimal wöchentlich angesteuert. Es gab 2843 Begegnungen, mehrheitlich am Bus, aber auch beim Ablaufen des Platzes in der klassischen Streetwork. Standort Bahnhof Zoo Das hat zur Folge, dass Jugendliche, die die Standzeiten des Busses kennen, sich in akuten Notsituationen (Hunger und Obdachlosigkeit) am Bus einfinden. Das heißt, die Jugendlichen suchen die Sozialarbeiter auf und nicht umgekehrt wie in vergangenen Jahren. Bei den Einsätzen zwei Mal pro Woche wurden insgesamt 1098 Kontakte gezählt. Gesamtkontaktzahl im Jahr 2010: 7388 Kontakte.
Im Jahr 2010 2010 war der Mädchenbus ganzjährig an fünf Tagen in der Woche auf den Straßen Berlins unterwegs. Nach Hinweisen aus der Szene, aus der Bevölkerung und von anderen sozialen Einrichtungen hatte der Mädchenbus auch andere Szenetreffs angefahren und die dortige Situation erkundet. Dabei erwiesen sich die etablierten Standorte Alexanderplatz und Kurfürstenstraße als besonders zielführend für die Arbeit mit Mädchen auf der Straße. Grundsätzlich aber sind und bleiben die Standorte und die Standzeiten flexibel, abhängig von personellen Kapazitäten und von Veränderungen in der Szene. Die Angebote am Mädchenbus sind: Hervorzuheben ist, dass leider die Armut bei der Zielgruppe gegenüber dem Vorjahr noch größer geworden ist und die Nachfrage nach Notversorgung extrem zugenommen hat. So hat sich die Ausgabe von belegten Broten, Obst und Gemüse beinahe verdoppelt. Der Standort Marienkirche am Alexanderplatz ist nach wie vor der zentrale Ort in Berlin für unsere Zielgruppe. Die Anzahl der minderjährigen Mädchen , die am Alexanderplatz zu uns kamen: - Im Januar, Februar und März waren es monatlich durchschnittlich 24 Minderjährige (davon 5 Eltern mit mindestens einem Kind). Die Anzahl der jungen volljährigen Frauen (bis Ende des 20. Lebensjahres), die häufig zu den Standzeiten an den Mädchenbus kamen, blieb ganzjährig stabil bei durchschnittlich 12 pro Monat. Davon waren insgesamt drei Eltern (Mütter) mit mindestens einem Kind. Der Standort Kurfürstenstraße in Berlin-Schöneberg Zahlreiche Frauen gehen der Prostitution nach, um ihren Lebensunterhalt und Drogenkonsum zu finanzieren. Viele ausländische Frauen prostituieren sich, um ihre Familien in der Heimat finanziell zu unterstützen. Sie haben oftmals einen Zuhälter oder einen Aufpasser im Hintergrund. Die jungen Frauen in der Altersgruppe der Achtzehn- bis Zwanzigjährigen waren ganzjährig regelmäßig und beständig in der Szene anwesend, aber bildeten die zahlenmäßig niedrigste Personengruppe. Durchschnittlich haben, wie auch im Jahr 2009, 19 junge Frauen dieser Altersgruppe mehrere Male im Monat uns aufgesucht. Sechs Frauen sind Mütter von mindestens je einem minderjährigen Kind. Die Frauen im Alter ab 21 bis 27 Jahren waren die am häufigsten vertretene Gruppe mit durchschnittlich 24 Frauen pro Monat. Frauen, älter als 27 Jahre, stellen die zweitgrößte Personengruppe mit durchschnittlich 21 Frauen pro Monat. 50 Prozent der Frauen beider Altersgruppen haben mindestens ein minderjähriges Kind. Das Team geht davon aus, dass mindestens 10 der Frauen mit ihren minderjährigen Kindern gemeinsam in einem Haushalt in Berlin leben. Es gibt aber viele Kinder, die nicht mit ihren Müttern zusammen leben. Die Kinder sind bei der Verwandtschaft , in Pflegefamilien oder in Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht . Pädagogische Aufgaben und Ziele des "Sleep In" Der pädagogische Ansatz des Sleep In möchte die in ihrer Lebenswelt nur schwer erreichbaren jungen Menschen nicht ihrem Schicksal zu überlassen. Ihre Lebenssituation und ihre damit verbundene spezielle Lebensführung wird akzeptiert. Die vorbehaltlose Akzeptanz soll dazu beitragen, vorhandenes Misstrauen abzubauen. Das Sleep In soll die jungen Menschen so versorgen, dass eine weitere Verelendung verhindert wird. Die jungen Menschen sollen Vertrauen zu den Mitarbeiter/innen bekommen, sich sicher und angenommen fühlen und langfristig zum Ausstieg aus dem Straßenleben motiviert werden. Besondere Problemschwerpunkte In den Monaten März, Juli und August wurde das Sleep In am häufigsten in Anspruch genommen. Erfahrungsgemäß sind dies die Monate, in denen Jugendliche häufiger ihr Umfeld wechseln und ‚auf Trebe gehen’. Dies führt zu einer Erhöhung der der Neuzugänge in diesen Monaten. Zusätzlich fand von September 2010 bis Januar 2011 das KuB- Theaterprojekt statt. Viele obdachlose Projektteilnehmer/innen haben in dieser Zeit die zusätzlichen Übernachtungen genutzt. Zeiten mit geringerer Auslastung sind die Wintermonate. Viele der im Sommer obdachlosen Jugendlichen werden zuvor über die Beratungsstelle der KuB in stabile Bezüge (Familie, Jugend-WG, BEW) rück- bzw. weitervermittelt. Während der kalten Monate bevorzugen die jungen Menschen ein Dach über dem Kopf. Sie arrangieren sich dann mit den Verhältnissen. Von der Gruppe der 13- und 14jährigen Kinder hat das Sleep In im Berichtszeitraum nur sehr geringen Zulauf gehabt. Sie wurden meist noch am gleichen Abend zum Kindernotdienst weitervermittelt. Die Nutzung durch 15- bis 17jährige Jugendliche blieb im Vergleich zum Vorjahr konstant. Beratungsstelle KuB Die Anzahl der Beratungsfälle (446) ist nahezu mit den Beratungen im Vorjahr (450) identisch. 341 verschiedene Jugendliche nahmen eine Beratung in Anspruch. 105 von ihnen erschienen nach einer abgeschlossenen Beratung oder einem Abbruch zu einem späteren Zeitpunkt mit neuen Problemen zur Beratung wieder. Die meisten Jugendlichen und Herwachsenden hatten Kontakt zur Szene am Alexanderplatz und anderen Szenetreffpunkten. Darunter waren weniger Jugendliche aus der Punkszene und mehr Wegläufer aus Jugendhilfeeinrichtungen und Elternhäusern, die den größten Teil ihrer Zeit am Alexanderplatz verbrachten. Teilweise waren es sogenannte Dauerwegläufer aus Berlin und anderen Bundesländern, die die KuB mehrfach aufsuchten. Eine erhebliche Zunahme war bei Jugendlichen und jungen Volljährigen zu verzeichnen, die von Aufenthalten (einem oder mehrere) in psychiatrischen Einrichtungen in ihrer Vorgeschichte berichteten. Waren es im Vorjahr noch 17 Prozent, so stieg die Anzahl in diesem Jahr auf 24 Prozent. Es ist zu vermuten, dass die Prozentzahl in Wirklichkeit noch höher ist, da bei einer Kurzberatung (ein bis drei Termine) nicht unbedingt von Psychiatrieerfahrungen berichtet wird, zumal, wenn diese schon mehrere Jahre zurück liegen. Noch höher ist die Zahl der Jugendlichen (29 Prozent), die psychische Probleme angaben oder nach Einschätzung des Beraters psychisch auffällig waren, wobei von diesen jungen Menschen immerhin 60 Prozent psychiatrische Vorerfahrungen hatten. Einige Klienten, die bereit zu einer therapeutischen Intervention, bereit waren, scheiterten häufig an den Vorbedingungen der therapeutischen Angebote, z.B. den langen Wartezeiten. Wünschenswert wäre ein niedrigschwelliges therapeutisches Angebot mit einem unkomplizierten, unbürokratischen Zugang. Vermehrt kamen junge Volljährige in die KuB, die entweder schon einen gerichtlich bestellten Betreuer hatten oder bei denen eine gerichtliche Betreuung eingeleitet werden musste. Auch wurden verstärkt Anträge nach SGB XII §53 (Eingliederungshilfe für behinderte Menschen) gestellt und in der Regel auch bewilligt. Aufgrund der komplexen Probleme des Klientel wurden in wachsendem Maße auch Begleitungen notwendig. Häufig versuchten die jungen Menschen, sich möglichst positiv beim Jobcenter darzustellen, hatten oft aber nicht verstanden, was sie dort unterschrieben bzw. waren nicht in der Lage, aufgrund ihrer Problematik ihren eingegangenen Verpflichtungen später auch nachzukommen. Aufgrund der Begleitung bekamen Jugendliche und Jungerwachsenen oftmals sofort einen Fallmanager zugeordnet. Die Anzahl der jungen Mütter mit Kontakten zur Straßenszene und der Schwangeren (8,5 Prozent der Beratungsfälle) erforderten ein besonderes Augenmerk auf das Thema Kinderschutz. Minderjährigen werdenden Müttern wurde geraten, möglichst frühzeitig die Jugendhilfe in Anspruch zu nehmen.
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Letzte Aktualisierung dieser Seite: 14.10.2012 (s. admin) |