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Amerika

Strassenkinder in Kolumbien - Lebensschilderungen

LUCHITO

Seine Freunde nennen ihn nun schon so lange "Luchito", dass er sich kaum mehr daran erinnert, wie er früher einmal richtig hieß. Das ist auch völlig belanglos. Nie hat Luchito Ausweispapiere besessen, er wüsste auch nichts damit anzufangen. Erinnerungen an seine frühe Kindheit kommen ihm selten in den Sinn, und wenn, dann stimmen sie ihn nur traurig. Was Luchito besitzt, das trägt er am Körper; ein Paar weite Hosen, deren ursprüngliche Farbe kaum mehr zu bestimmen ist, ein schmutziges Hemd, Turnschuhe unterschiedlicher Größen, die an den Fersen aufgerissen sind. Seit einigen Tagen schläft er nachts vor dem Eingang eines Ladens, dessen Überdachung den Bürgersteig etwas überragt, so dass er bei Regen geschützt ist. Spätabends lässt der Besitzer die Eisengitter krachend herunter, morgens gegen 9 Uhr zieht er sie wieder hoch, so dass Luchito und die anderen, die sich dort ausgeruht haben, aus dem Schlaf hoch schrecken. Sich zu Waschen vernachlässigt er genauso so wie seine Freunde, entsprechend sehen sie aus: Schmutz verklebt die Augen, die Haare sind zerzaust, die Kleider zerfetzt. Luchito dürfte etwa zehn Jahre alt sein. Sein schmächtiger Körper ist voller Wunden, die wegen des Schmutzes eitrig sind und nicht verheilen wollen. Das macht Luchito ganz besorgt. Wenn er darüber spricht, öffnen sich seine sonst immer halb geschlossenen, ängstlichen Augen, und man sieht, dass sie rot entzündet sind.

In seinem kurzen Leben hat Luchito schon viel erlebt. Neulich ist er, mit anderen Straßenbewohnern zusammen, mitten in der Nacht von der Polizei aufgeschreckt worden. Sie wurden zusammengetrieben und auf Lastwagen aus der Stadt hinaus gefahren. Die Angst des nächtlichen Überfalls steckt ihm noch in den Knochen. Nach wenigen Tagen kehrten alle wieder in die vertraute Gegend, das Barrio Triste im Zentrum der Stadt, zurück. Nur dort bringt Luchito durch Betteln und Diebstahl zusammen, was er zum Überleben braucht. Er weiß, wie man die Leute auf der Straße anspricht und was man ihnen erzählen muss, um sie zu rühren. "Du musst halt alles ein bisschen dramatisieren und damit ihr Mitleid wecken", erklärt er fachmännisch. Vom vielen Geschichtenerzählen kann Luchito manchmal selber nicht mehr unterscheiden, was wahr ist und was er erfunden hat.

Letzte Aktualisierung dieser Seite: 27.09.2012 (s. admin)Online Kompetenz  |  Sitemap  |    |