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Hilfe für die Armen: Ein konzeptioneller Rahmen für die Praxis und die Ausbildung  in der Sozialarbeit                      

(Dr. Istifan Maroon, Lehrbeauftragter und forschender Wissenschaftler der PH / University of Education, Freiburg)                

Übersetzung aus dem Englischen von Cathrin Shalev                

Kurzbeschreibung       
Armut und Einkommensungleichheit steigen auf der ganzen Welt und insbesondere in den Entwicklungsländern. Armut wird als der entscheidende Faktor erkannt, der zu Ausschluss aus der Gesellschaft und zum Abrutschen in soziale Randgruppen führt. Darüber hinaus wird Armut als derjenige Faktor empfunden, der funktionale Probleme auslöst und verschärft sowie den Kreislauf Mangel, Not und Elend bei einzelnen Personen, Familien und Gemeinden aufrechterhält.
Diese Situation stellt den Beruf der Sozialarbeit vor die Herausforderung, die Art und Weise ihrer Beziehung zu denjenigen, die in Armut leben, sowie den Inhalt und die Ziele der Ausbildung in der Sozialarbeit an Universitäten zu überdenken.
Dieser Artikel beabsichtigt, die Gründe für die Armut sowie die Faktoren, die sie aufrechterhalten, zu erklären sowie Ansätze für ihre Vermeidung und die gängige Behandlung gemäß der professionellen Literatur vorzustellen. Darüber hinaus ist die Intention, ein einzigartiges Modell für den Umgang mit Armen vorzustellen und einen konzeptionellen Rahmen für die professionelle Ausbildung darzulegen, in der Armut als ein fester Bestandteil in den Ausbildungsplan für Sozialarbeit aufgenommen wird.   

Literaturübersicht  
Armut, die sich seit den 80er Jahren in ständigem Wachstum befindet, ist vielleicht das ernsteste Phänomen überhaupt, mit dem sich die menschliche Gesellschaft weltweit auseinandersetzen muss. Obgleich das Bewusstsein in Bezug auf die negativen Auswirkungen der Armut steigt, scheint eine Lösung des Problems nicht in Sicht, vor allem im Hinblick auf die Einführung der freien Marktwirtschaft sowie das Fortschreiten von Privatisierung und die Einschränkung der Stellung des Sozialstaates (Alcock, 1997; Buchanan, 2007; Rosenfeld, 1989; The free encyclopedia, 2011; Waldegrave, 2005; World Bank, 2011).   
Gefährdete Bevölkerungsgruppen für ein Leben in Armut schließen Familien mit mehreren Problemen, Alleinerziehende, ethnische Minderheiten, Zuwanderer, Familien mit zahlreichen Kindern, Arbeitslose sowie Familien mit Eltern niedrigen Bildungsstands ein (Borufka, 2010; Gerstein u.a., 2009; Mood, 2011; OECD, 2008; Spratt & Devancy, 2009).
Armut spielt eine entscheidende Rolle bei Stress in der Familie, häuslicher Gewalt, Mangelernährung, geschlechtlicher und ethnischer Ungleichheit sowie physischer und emotionaler Krankheit (Mood, 2011; Ridge & Miller, 2011). 
Armut ist ein Begriff, der die verhältnismäßige wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung beschreibt (Alcock, 1997). Der Grad und die Intensität der Armut hängen vom Lebensstandard in den einzelnen Ländern ab und setzen sich verhältnismäßig zum Einkommen zusammen. Im Jahr 2008, zum Beispiel, betrug die Armutsgrenze pro Kopf und Monat in Rumänien $ 137 und in Luxemburg $ 2158 (EAPN, 2011). Darüber hinaus gibt es die tatsächliche sowie die verhältnismäßige Arbeitslosigkeit. Die Weltbank (2011) beschreibt extreme Armut mit einem Einkommen von weniger als $ 1,25 pro Person/Tag, mittelmäßige Armut mit weniger als $ 2 Einkommen pro Person/Tag.
Man fand heraus, dass 1,4 Milliarden Menschen mit $ 1,25 pro Tag leben und ungefähr die Hälfte der Weltbevölkerung, sprich 3 Milliarden Menschen, mit $ 2,5 pro Tag oder weniger (Shah, 2011).

Das Verhältnis der Sozialarbeit zu den Armen ist ein vielschichtiges:
     Auf der einen Seite ist es der Beruf, der am stärksten mit dem Problem der Armut identifiziert wird. Seit seinem in Erscheinungtreten Ende des 19. Jahrhunderts brachte der Beruf der Sozialarbeit seine fortlaufende Verpflichtung, sich mit dem Problem der Armut auseinanderzusetzen, zum Ausdruck. Der arme Mensch war und bleibt der Mittelpunkt des Sozialhilfesystems, welches oft die einzige und meist auch die letzte Verbindung ist, die arme Bevölkerungsschichten an gesellschaftliche Institutionen bindet.
     Das erklärte Ziel des Berufes war und ist es immer noch, diese Bevölkerungsgruppen zu fördern und auf ihr Wohlbefinden zu achten. Allerdings beschäftigen sich die SozialarbeiterInnen weit weniger mit dem Problem der Armut, sowohl auf der Makro- als auch auf der Mikroebene betrachtet, als sie sich mit anderen familiären Problemen wie z.B. Streitigkeiten zwischen Ehepartnern, Gewalt, Kindern und Jugendlichen beschäftigen (Krumer-Nevo u.a., 2006). Zahlreiche Wissenschaftler geben an, dass auch Universitäten ihren Studierenden nicht das nötige Wissen und die erforderlichen Mittel zur Hand geben würden, die für den Umgang mit Armut notwendig seien.

Messen von Armut
     Seit Rowntree (1941) besteht die Tendenz, die Definition von Armut zu erweitern. Der Begriff Armut soll nicht länger nur die bloße Möglichkeit reiner physikalischer Existenz bedeuten, sondern die Möglichkeit einer annehmbaren Unterkunft, Ausbildung sowie die Eingliederung in die Gesellschaft.
     Der Grad und das Ausmaß von Armut werden im Vergleich zur Armutsgrenze gemessen. Eine Person oder Familie wird als arm eingestuft, wenn ihr Einkommen unter diese Grenze fällt.

Es gibt drei hauptsächliche Arten, Armut zu messen: 
1. Der absolute Armutsindex bezieht sich auf Armut als ein nötiges Existenzminimum (Rowntree, 1941) durch die Festlegung einer sehr niedrigen Summe Geldes. Länder, die sich diesem Modell anschließen, lehnen den Sozialstaat ab und beziehen soziale Unterschiede nicht in ihre Kalkulationen mit ein. Die absolute internationale Armutsgrenze wurde mit $ 1,25 pro Tag festgesetzt (World Bank, 2011).  
2. Das Standard-Budget bezeichnet einen Korb von Waren und Dienstleistungen, der sich aus unterschiedlichen Komponenten zusammensetzt, die Ausbildung, Gesundheit und Unterkunft mit einbeziehen, Komponenten, die die meisten Bürger eines Landes für einen minimalen Lebensstandard als essenziell erachten. Der Warenkorb wird gemäß dem im jeweiligen Land üblichen Standard festgelegt (Orshansky, 1965).  
3. Der verhältnismäßige Armutsindex betrachtet Armut als Not, die im Verhältnis zum durchschnittlichen Lebensstandard berechnet wird. Dieser Ansatz wird von den meisten Ländern der Welt angenommen. In entwickelten Ländern wird die Armutsgrenze mit 60% des mittleren Einkommens angegeben (Die Bevölkerung wird in zwei gleiche Gruppen geteilt: in eine, deren Einkommen über dieser Grenze liegt und in eine, in der das Einkommen unterhalb dieser Grenze liegt). Die soziale Absicht, die hinter dieser Methode steht, ist, das Ausmaß wirtschaftlicher Ungleichheit und Armut in der Gesellschaft zu reduzieren (Townsend, 1993).

Ansätze zur Erklärung von Armut und Not     
     In der professionellen Literatur gibt es unterschiedliche Vorschläge für die Einteilung des Wissens über Not und Armut, die in zwei Modelle zusammengefasst werden können.

Das konservative Verhaltensmodell:
     Dieses Modell sieht die Gründe für Not und Armut vor allem in Kultur, Familie und persönlichen Charaktereigenschaften der armen Menschen selbst (Lister, 2004; Murray, 1994).
     Dieser Ansatz, ähnlich dem Defizit-Modell, glaubt, dass die Charakterschwäche und die persönlichen Eigenschaften der Armen der zentrale Grund für ihre Armut sind. In seine Überlegungen bezieht er den Ort der politischen und sozialen Struktur für das Entstehen von Armut nicht mit ein, und der Kontext, in dem Armut besteht. wird ignoriert. Deshalb können Theoretiker in diesem Fachbereich derartige Größen wie Chancenungleichheit oder soziale Machtverteilung als relevante Faktoren für Armut nicht mit heranziehen.
     Der dominanteste Text, der in diese Richtung geht, ist „Die Kultur der Armut” von Lewis (1966).
     Er beschreibt die pathologischen Charakteristiken derjenigen Personen, die in Armut leben, als: persönliche Störung, Unfähigkeit zu organisieren und zu planen, fehlende Motivation, geringes Niveau abstrakten Denkens, Unbeständigkeit, fehlende Fertigkeiten und Fähigkeiten sowie Persönlichkeitsmuster, die als „die Armutspersönlichkeit” vorgestellt werden (Harrington, 1962).
     Die Antwort auf Armut gemäß dieser Auffassung ist das „Reparieren” der Armen selbst über psychologisch-klinische Behandlung, psychosoziale Behandlung und Umerziehung.

Das liberal-soziale Modell:
     Die liberal-soziale Auffassung von Familien in Not ist hauptsächlich in der Literatur zu finden, die sich mit dem Sozialstaat beschäftigt. Hier konzentriert man sich auf andere Fragen: Was ist Armut? Wie sollen ihre Entwicklung und ihre Existenz verstanden werden und was soll unternommen werden, um dem entgegenzuwirken? Diese Themen werden von einer systematischen Perspektive aus diskutiert, die das Phänomen der Armut im Zusammenhang mit dem spezifischen wirtschaftlichen und sozialen System betrachtet, welches als vorrangiges Element für die Existenz von Armut angesehen wird.
     Dieser Ansatz betrachtet Armut als ein Problem der gesellschaftlichen Struktur. Gemäß dieser Auffassung leben Menschen in Armut aufgrund verschiedener struktureller Gründe der Gesellschaft: wirtschaftlicher Kapitalismus, wirtschaftliche- und soziale Grundsätze einer Nation, Globalisierungsprozesse und bestehende soziale Unterschiede (Ridge & Miller, 2011). Personen, die in Armut leben, werden als „Opfer” von Ungleichheit und Ungerechtigkeit wirtschaftlicher und sozialer Ordnung beschrieben.
     Auf Makro-Ebene betrachtet, bedeutet dies, dass das Problem der Armut nur über eine Veränderung in der Wirtschaftspolitik und eine Veränderung in der Art und Weise der Verteilung des sozialen Anspruchs zu erreichen ist und nicht über die Umerziehung des Einzelnen, der unter Armut leidet (Shipler, 2005).

Bewältigung von Armut und Ausschluss: Vorbeugung und Intervention
     Das Bild der Beziehungen zwischen armen Familien und SozialarbeiterInnen wird in der Literatur gewöhnlich aus der Position der Frustration heraus beschrieben. Andauernder ausbleibender Erfolg, die Lebensbedingungen der armen Familien zu verbessern, brachte Rosenfeld (1989) zu der Aussage, diese Familien als „geschlagene Familien” zu bezeichnen, da sie gleich zweimal „geschlagen” wurden: einmal durch ihr Leben in Armut und ihr Ausgegrenztsein und das zweite Mal durch die staatlichen sozialen Einrichtungen, die ihnen im Grunde helfen sollten, aber es nicht getan haben.

Ansätze für Sozialeinrichtungen im Umgang mit armen Klienten:
     Dies umfasst den psycho-sozialen Ansatz (Hollis & Woods, 2001); den Problem-Lösungs-Ansatz (Compton u.a., 2005); die anwendungsorientierte Sozialarbeit (Reid & Epstein, 1972) und den systematischen Ansatz  (Pincus & Minhaman, 1973). Alle Ansätze verstehen den Einzelnen als ein durch psychologische, zwischenmenschliche und soziologische Faktoren beeinflusstes Individuum. Trotz aller Unterschiede haben alle Ausrichtungen gemeinsame Elemente: das Individuum war und ist der Mittelpunkt der Veränderung, auch wenn der Ansatz systematisch ist. Diese Denkansätze konzentrieren sich im Wesentlichen auf Veränderungen auf der Mikro-Ebene (Individuum) oder auf Veränderungen der System-Ebene (Familie). In den meisten Fällen ist die Intervention auf der Makro-Ebene im therapeutischen Repertoire nicht enthalten.
     Diese Ansätze stehen mit der individuellen und klinischen Ausbildung zahlreicher SozialarbeiterInnen im Einklang. Dementsprechend richten diese ihre Anstrengungen auf die Veränderung der kulturellen Struktur sowie die Verhaltensweise ihrer Klienten. Eine typische Intervention würde sich bemühen, die Einschätzung von Prioritäten und die „starren” Denk- und Verhaltensmuster der Armen zu verändern, um so die Hindernisse für die Behandlung von Personen, deren Hauptproblem Armut darstellt, zu durchbrechen. In diesem Fall neigen die meisten SozialarbeiterInnen dazu, nicht im Bewusstsein der Armut zu handeln, d.h. sie identifizieren Armut nicht als den allumfassenden Auslöser unter den gegebenen Faktoren der Not und beziehen sich demzufolge auf die Armut nicht als das Objekt ihrer Bemühungen, um Änderungen anzustreben.
     Trotzdem wurden seit den 1990er Jahren verschiedene Denkansätze entwickelt. Ansätze, die Armut als eine Konsequenz aus einer Vielzahl sozialer und wirtschaftlicher Prozesse betrachtet und ihre Ideen aus der radikalen Sozialarbeit und aus kritisch-feministischen Theorien beziehen.
     Die Besonderheit dieser Standpunkte ist, dass diese, anstatt sich auf Armut als Grund für funktionale Schwierigkeiten zu konzentrieren, ihren Schwerpunkt auf Armut als ein Zustand von fehlenden Rechten und fehlendem Zugang zu konkreten sozialen Ressourcen legen (Unterkunft, Erziehung und Ausbildung, Beschäftigung, Einkommen, Gesundheit) sowie darüber hinaus auf symbolische soziale Ressourcen wie Respekt und soziale Achtung (Mood, 2011).
     Diese Ansätze empfehlen andere Wege für den Umgang mit der Armut. Sie sehen die Rolle der Intervention als Versuche für die Veränderung der Armutssituation durch präventive soziale Aktivitäten, die durch SozialarbeiterInnen oder durch die Initiative von Klienten oder durch beide Gruppen gemeinsam initiiert werden.
     Autoren, die aus dieser Sicht heraus schreiben, befürworten eine Veränderung, die von der individuellen Sozialarbeit und der Familienarbeit weggeht und sich hinwendet zu Gemeindearbeit und Gemeindeentwicklung (Green, 2000), politischem und sozialem Engagement (Lord & Kennedy, 1992), systematischer Arbeit, die Intervention auf individueller Ebene sowie auf globalem sozioökonomischem Niveau (Witkin, 1998) verbindet, Verteidigung (Dowling, 1999), Übertragung von Verantwortung, Aufbau eines sozialen Netzwerkes, Partnerschaft, die nicht nur auf die Einbindung der Klienten in Bezug auf die soziale Veränderung (Keithly & Rombought, 2004) abzielt, sondern auch auf das Suchen nach Stärken der Zielpersonen, sowie deren Nutzung (Saleebey, 2006).      

Auf der sozialpolitischen Ebene bestehen sechs verschiedene Auffassungen für den Kampf gegen die Armut:
1. Einkommensunterstützung für die Armen: Zahlen einer Beihilfe an eine Person oder Familie, die nicht in der Lage ist, für die elementaren Lebenshaltungskosten aufzukommen.
2. Arme in den Arbeitsprozess integrieren: Dieser Ansatz geht davon aus, dass das Problem der Armut nicht von einer finanziellen Zuwendung abhängt, sondern von der Einbindung der Armen in den Arbeitsprozess. Ein Ansatz, der heute von den meisten Sozialstaaten vertreten wird. Er kommt in der kurzen Berufsausbildung und der Verpflichtung der Arbeitslosen zur Arbeit zum Ausdruck.
3. Anhebung des Ausbildungsniveaus von Kindern aus armen Familien sowie ihrer Eltern: Dass Ausbildung Armut reduziert, stützt sich auf Studien, die zeigen, dass Investition in Humankapital ein effektives Mittel für wirtschaftliche und soziale Mobilität darstellt.
4. Stärkung des Einflusses der Gemeinde durch den Ausbau und die Stärkung des Unterstützungsnetzwerks sowie des Netzwerks freiwilliger Organisationen, die in der Gemeinde tätig sind.
5. Öffentliche Politik des wirtschaftlichen Wachstums: diese Schule ist der Auffassung, dass Wirtschaftswachstum der entscheidende Faktor für die Absicherung der armen Bevölkerungsschicht ist. Um dies zu erreichen, muss die staatliche Intervention beschränkt, Privatisierung forciert sowie Staatsausgaben gesenkt werden. Darüber hinaus muss dem Wirtschaftssektor Freiraum eingeräumt werden.

 

 


Interventionsmodell: ein Hilfszentrum innerhalb der Sozialabteilung, die sich auf Armut konzentriert
     In den frühen Anfängen der Sozialarbeit im 19. Jahrhundert hat sich diese bereits auf Armut konzentriert. Trotzdem hat die Behandlung des Armutsproblems viel von ihrem professionellen Status verloren, seitdem Sozialarbeit als ein klinischer Beruf identifiziert wurde.
     Das vorgeschlagene Hilfszentrum bietet ein alternatives Modell zur Behandlung von armen Bevölkerungsschichten. Dies soll durch Änderung der Auffassung und der Organisation, mit der die städtischen Hilfsdienste mit armen Familien in Beziehung treten, impliziert werden.
     Das Hilfszentrum ist darauf ausgerichtet, den Bedarf von bedürftigen Familien zu decken, deren hauptsächliches Problem es ist, arm zu sein. Der Hintergrund für ihr Hilfegesuch hängt zu allererst und vor allem mit ihrer Armut zusammen und die sie begleitende wirtschaftliche Bedürftigkeit, die fehlende Unterstützung seitens eines Netzwerkes, das sie auffängt und darüber hinaus das Fehlen von Fertigkeiten, ihre Bedürfnisse geltend zu machen. Das Hilfszentrum dient als professionelle Adresse für die angesprochene Bevölkerungsschicht.
     Gleichzeitig mit der Behandlung des Armutsproblems als ein zentraler Punkt der Intervention erhalten die Familien durch das Zentrum darüber hinaus vielschichtige zusätzliche Hilfe. 

Der multidimensionale Ansatz der Intervention:
     Das Hilfszentrum wird hauptsächlich auf der strukturellen Theorie begründet sein, nach der Armut aus multidimensionellem und strukturellem Versagen resultiert. Demnach basieren die entsprechenden Interventionen auf Aktivitäten, die sowohl von Klienten als auch SozialarbeiterInnen initiiert werden und zum Ziel haben, Hürden im System entgegenzutreten, die die Chancen und Möglichkeiten des Klienten, selbst aktiv zu werden, wesentlich behindern. Daraus folgt, dass effektive Hilfe für arme Klienten über eine individuelle Behandlung hinausgehen muss. Der Ansatz, der mit der strukturellen Theorie der Armut kompatibel ist, kombiniert individuelle Unterstützung mit Gruppen- und Gemeindearbeit und versucht eine Veränderung der Sozialpolitik auf staatlicher Ebene zu erreichen. Dieser Ansatz verbindet Mittel und Strategien auf der praktischen Mikro- und Makroebene, was ist in der Sozialarbeit außergewöhnlich ist.

Die Wahrnehmung des Klienten als Partner:
     Ein weiteres bezeichnendes Merkmal dieses Ansatzes ist die Wahrnehmung des Klienten als Partner. Das bedeutet, dass die Partnerschaft eine gleichberechtigte Beziehung der Partner voraussetzt, die auf gegenseitigem Respekt, kooperativem Handeln und dem Lernen voneinander beruht.
                 Bei der Bitte um Unterstützung aufgrund wirtschaftlichen Mangels wird die Verwundbarkeit des bedürftigen Klienten offengelegt. Diese Situation wird durch den Kontakt mit der Bürokratie von Gesetzen, Regeln und Vorschriften, mit denen das Sozialwesen Klienten konfrontiert und die die Voraussetzungen für Hilfeleistungen sind, lediglich verschärft. Daraus folgt, dass der Aufbau von partnerschaftlichen Beziehungen mit Klienten, die in Armut leben, angemessener organisatorischer Rahmenbedingungen bedarf, damit sich die gegenseitigen Beziehungen entfalten können. Diese Rahmenbedingungen erfordern die Beseitigung von Hindernissen auf persönlicher Ebene der SozialarbeiterInnen (negative Gefühle, Einstellungen und Vorurteile), wie auch eine Veränderung der professionellen Wahrnehmung, die den Klienten für seine Armut selbst verantwortlich macht, als auch mehr Sensibilität gegenüber den Unterschieden im Hinblick auf den gesellschaftlichen Status, das Geschlecht und die Kultur des Klienten, eingebettet in ein verständnisvolles, unbürokratisches und hierarchisches organisatorisches Umfeld.

 

 


Grundsätze der alternativen organisatorischen Ausrichtung in der Bekämpfung von Armut

Bereich Gegenwärtiger Ansatz Alternativer Ansatz – Das Zentrum
Wahrnehmung der Intervention Individueller Ansatz Multidimensionaler Ansatz, der individuelle Unterstützung mit Gruppen-und Gemeindearbeit kombiniert, durch maßgeschneiderte Interventionen, deren Ziel es ist, sowohl die Lebenssituation des Klienten, als auch die Bedingungen des sozialen Umfelds zu verändern
Definition des Problems Der Dienstleister definiert das Problem Der Dienstleister agiert im Rahmen des Problemfelds, das durch die Zusammenarbeit mit dem Klienten definiert wird
Definition des Klienten Definiert als Leistungsempfänger ohne wirklichen Einfluss auf organisatorische Strukturen Ein aktiver Partner mit sozialen Rechten und Einfluss auf wesentliche Prozesse der individuellen und systemischen Entscheidungsfindung (Evaluation der Dienstleistung und Festlegung des Konzepts)
Theoretischer Diskurs über Armut Verhaltens- und kulturelle Theorien, in deren Mittelpunkt das Individuum steht Strukturelle- und post-strukturelle Theorien
Wahrnehmung des Klienten Betonung der professionellen Grenzen Betonung der professionellen Intervention
Professioneller Status im Umgang mit Armut Niedriger Status gegenüber klinischer Spezialisierung Spezialisierung eines hohen Status für den Umgang mit Armut
Eigenschaften des organisatorischen Lernens Vertikales Lernen (Anleitung durch Ausbilder, Schulung durch Experten) Horizontales (reflexives) Lernen, das Klienten in organisatorische Lernprozesse einbindet

           Armut im Unterricht: Ein konzeptueller Rahmen für die Ausbildung von SozialarbeiterInnen
                 Um professionelles Engagement für Menschen, die in Armut leben zu fördern, müssen Studierenden sowohl theoretisches Wissen als auch Grundkompetenzen für die Arbeit mit armen Bevölkerungsschichten vermittelt werden.

            Um diese zwei Ziele zu erreichen, schlagen wir vor:
     Allgemeine theoretische Kurse im Rahmen des Curriculums zum Thema Armut: soziologische Aspekte (Armut und soziale Ausgrenzung, Armut und Geschlecht); Kurse mit politischem Bezug (Geschichte der armutsbezogenen Politik, finanzielle Beihilfe und ihre Auswirkung auf Armut), Kurse im Bereich der Sozialarbeitspraxis (in gemeinnützigen Organisationen, Freiwilligenverbänden, in einer Politik der Stärkung und Partnerschaft mit Menschen, die in Armut leben und im Engagement für sozialen Wandel).
                Der Kerninhalt des Curriculums sollte eine grundlegende Vermittlung von Theorien beinhalten, die sich mit den Ursachen von Armut beschäftigen und auf dem Verständnis aufbauen, dass Armut und Ungleichheit zu bekämpfen sind. Dieses Verständnis wird es Studierenden ermöglichen, Unterschiede zwischen herkömmlichen Erklärungsmustern für Armut, die Armutsursachen im Verhalten, in den Werten und der Kultur der von Armut Betroffenen auszumachen und systemischen Erklärungsversuchen, die die Ursachen im sozialen Kontext suchen, sowie Theorien, die Armut mit Ausgrenzung, sozialer Marginalität und dem Fehlen von sozialen Rechten in Verbindung setzen, zu erkennen.
                Darüber hinaus sollten Studierende Wissen über die Sozialpolitik in Bezug auf Armut erwerben. Das zu erwerbende Wissen würde sich auf diverse Ideologien der Sozialhilfe beziehen (Sozialdemokratie, Neokonservatismus, der dritte Weg, Neo-Marxismus, Feminismus) sowie die Art und Weise, wie diese Theorien dem Problem der Armut entgegentreten, diese definieren und messen. Das Curriculum würde außerdem das Aufzeigen der Mittel und Wege einschließen, wie Regierungen mit dem Problem von Armut umgehen.
                 Für die Zielgruppe der Studierenden, die sich in diesem Bereich spezialisieren möchten, sollten im Rahmen der Kurse, die sich mit der Praxis der sozialen Arbeit beschäftigen, spezifische Kurse zur Thematik "Armut" entwickelt werden. Spezielle Kurse würden der individuellen, familiären und der Gruppenintervention, sowohl der Intervention of Gemeindeebene und der Politik gewidmet sein. Konkret würden Studierende Werkzeuge, Fähigkeiten und das Verständnis dafür erwerben, wie man Fähigkeiten auf der individuellen, familiären und kommunalen Ebene (Reichweite, Mediation, persönliche Interessensvertretung, Zusammenarbeit, Unterstützung und Stärkung des sozialen Bewusstseins) auf der einen Seite, mit Fähigkeiten auf der Makroebene (Interessensvertretung des sozialen Standpunkts, Gemeindeorganisation und-Aktivierung, Aufbau von Koalitionen mit Organisationen der Gesellschaft, praktische Fertigkeiten für einen politischen Kurswechsel) verbinden kann.

Die gewünschten Ergebnisse einer solchen Ausbildung vis-à-vis dem Studierenden wären:
1. Die Annahme einer kritischen und oppositionellen Haltung gegenüber Armut und
sozialer Ungleichheit; 2. Die Betrachtung der persönlichen und familiären Not von Armut Betroffener im Kontext der sozio-ökonomischen Struktur, Ausgrenzung, Marginalisierung und Entrechtung und nicht im Kontext eines persönlichen, familiären oder kulturellen Krankheitsbilds; 3. Die Identifikation der Zentralität von Armut im Leid von Individuen und Familien, und die Art und Weise wie Armut ihr Elend verursacht, als auch der verhaltensbezogene- und emotionale Ausdruck dieses Leides; 4. Verständnis der Auswirkungen der Wirtschafts- und Sozialpolitik auf Menschen, die in Armut leben: 5. Die Fähigkeit, Makro-Fertigkeiten für einen sozialen Wandel und politische Bildung effektiv mit Mikro-Fertigkeiten zur Verbesserung der Eigeninitiative von in Armut lebender Individuen und Familien zu kombinieren.

Diskussion und Empfehlungen
                Die Fachliteratur zeigt, dass sich Armut sowohl aus materieller Deprivation und Ausgrenzung  als auch aus einem Mangel an sozialen Chancen zusammensetzt. Aufgrund dieses Mangels reicht es nicht, Strategien zu entwickeln, die lediglich auf die Verhaltensänderung der von Armut Betroffenen zielen, um einen erwünschten sozialen Wandel auszulösen. Es bedarf einer Änderung der sozialen Einstellung und allgemeine die Armut betreffende politische Grundsätze.

Interventionen auf der Sozial- und nationalpolitischen Ebene:
                 Zunächst sollte ein langfristiges Ziel für die Bekämpfung von Armut festgelegt werden: Das vorgeschlagene Ziel ist die Reduzierung der Anzahl der Familien, die unterhalb der Armutsgrenze leben. Als ergänzende Maßnahme sollte das Familieneinkommen relativ bemessen werden, d.h. in Bezug auf den Lebensstandard in der spezifischen Gesellschaft sowie in Bezug auf die mögliche Deckung der familiären Grundbedürfnisse.
                 Als ein zusätzliches Ziel sollten parallel dazu soziale Indikatoren in den Bereichen Anstellung, Gesundheit und Bildung armer Bevölkerungsschichten aufgestellt werden, da Armut ein multidimensionales Phänomen darstellt. Der Hauptschwerpunkt sollte jedoch auf den Arbeitsbedingungen liegen. Unter drei Bedingungen kann das Eingehen eines Beschäftigungsverhältnisses ein Individuum aus dem Teufelskreis der Armut befreien: ein gesteigertes Lohnniveau, verbesserte Arbeitsbedingungen sowie mögliche Aufstiegschancen Arbeiter niedriger Lohnniveaus - entweder durch das Anheben des Mindestlohns, steuerlicher Vorteile in Form von Zuschüssen (negative Lohnsteuer) oder der Förderung der Berufstätigkeit beider Ehegatten und die Kombination des Berufseinstiegs mit einer verbesserten Ausbildung, die Verbesserung berufsbezogener Qualifikationen, persönliche Beratung und Verfügbarkeit von Beschäftigungsmöglichkeiten.

Soziale Einrichtungen – Sozialarbeit, die sich der Armut bewusst ist:
Wie müssen sich soziale Einrichtungen ändern, um mit Armut angemessen umzugehen und wie können diese Veränderungen weiterentwickelt werden?
1. Durch Veränderung des professionellen Ansatzes. Soziale Einrichtungen
müssen kritische Ansätze und die Auseinandersetzung mit dem sozialen Umfeld in ihre Arbeit einbeziehen und sich weniger auf psychosoziale Behandlung konzentrieren, die sich auf klinische Individualfürsorge basiert.
2. Durch Veränderung der Arbeitsmuster. Die Arbeit mit Klienten, die von Armut betroffen sind, fordert ein hohes Maß an Involviertheit, die sich im Aufbau eines persönlichen Kontakts zwischen Dienstleister und Klient äußert sowie der Identifikation mit dem Leid der Klienten und der aktiven Teilnahme an Prozessen des sozialen Wandels.
3. Durch das Einbeziehen der Definition von Armut, in allen ihren
Erscheinungsformen, in die Behandlungsziele und Leitlinien für  SozialarbeiterInnen. Interventionsziele werden so z.B. definiert als die Verbesserung des ökonomischen Status des Klienten oder als Zugang zu sozialen Ressourcen oder aber als Verbesserung des politischen Status. Diese Ziele können durch persönliche Strategien wie Übertragung von Verantwortung oder persönliche Interessensvertretung erreicht werden. Sie sollen dem Klienten helfen, seine Rechte zu nutzen, Ressourcen zu erwerben, wie auch aktive Hilfe für die Integration in den Beruf und die Entwicklung von Selbstständigkeit oder aber soziale Strategien wie soziale Interessensvertretung, politische Praxis und wirtschaftliche Entwicklung der Gemeinde zu erwerben.
4. Durch das Begreifen von Armut als das zentrale Problem im Hinblick auf das
Elend betroffener Einzelpersonen oder Familien. Armut muss als ein Zustand verstanden werden, der andere negative Situationen wie beispielsweise Funktionsstörungen oder Wohnungsprobleme, nach sich zieht. Aus diesem Grund kann Armut der Primärfaktor für die Entstehung von anderen problematischen Situationen sein oder aber derjenige Hinderungsgrund, der einer Problemlösung im Wege steht.
5. Durch Veränderung der Wahrnehmung des Problems. Die Praxis der Sozialarbeit, die sich der Armut bewusst ist, ist das Resultat einer strukturellen Wahrnehmung, die Armut zunächst als Phänomen begreift, das in anti-egalitären sozialen Strukturen, Organisationen und Institutionen wurzelt. Daraus folgt, dass die professionelle Praxis, die sich der Armut bewusst ist eine Einstellung widerspiegeln wird, die sich zum Ziel setzt Chancen für Menschen in Armut zu verbessern sowie ihre ökonomische Situation und den Gebrauch ihrer sozialen Rechte zu verändern. Ein derartiger Ansatz betrachtet Klienten ausdrücklich nicht als den alleinigen Grund für ihre Lebenssituation.

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