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. Guerilla1    . Guerillera 

Mein Name ist Marianna. Ich komme aus Pasto (nahe der Grenze zwischen Kolumbien und Ecuador). Ich war eine Guerillera, bin geflohen. Diesen Ring hier haben sie mir geschenkt, nachdem ich aus der Guerilla ausgetreten war.

Ehrlich gesagt, ich glaube, dass der Krieg nötig ist für unser Land. Die Guerillagruppen haben es immer noch nicht geschafft, Frieden zu schließen, die Regierung will das einfach nicht. Unter den Kommandanten der Guerilla gibt es gute und schlechte, es gibt Räuber und solche, die die Verhältnisse im Land wirklich zum Besseren verändern wollen. Die einen denken nur an Geld und an ihren persönlichen Vorteil, andere kämpfen für ein gutes Ziel. Nachdem ich von dort weg bin und Abstand zur Gruppe gewonnen habe, merke ich, dass es überhaupt keinen Fortschritt gibt.

Ich möchte gerne Krankenschwester werden. Bei der Guerilla war ich Krankenschwester. Aber ich habe keine richtige Ausbildung mit einem Abschluss. Meine praktischen Fähigkeiten und Erfahrungen zählen hier nicht. 

Ich wünsche mir, dass der Krieg aufhört. Aber es gibt noch so viele Probleme. Die Guerilla und die Regierung wollen nur ihre je eigenen Vorteile herausschlagen. Letztlich geht es in diesem Krieg um Geld. Wenn ich Präsidentin wäre, würde ich die bewaffneten Gruppen abschaffen und versuchen Gutes für alle zu tun. 
Wenn Jugendliche sich der Guerilla anschließen, so hängt dies mit ihrer Armut zusammen. Manche gehen zur Guerilla an, weil sie faul sind und nicht lernen wollen. Bei mir war es so, dass ich von zu Hause abgehauen bin. Mein Vater ist gestorben, als ich noch klein war. Meine Mutter hat sich nicht um uns gekümmert. Ich war 13 oder 14, als ich mich zusammen mit einer Freundin aus dem Staub machte.

Ich stieß in einem Dorf auf eine Guerillagruppe. Ich wusste überhaupt nichts von ihnen. Lediglich in den Nachrichten hatte ich das eine oder andere gehört. Von ihren Zielen und solchen Sachen hatte ich keine Ahnung. Ich dachte, dass alle eine Einheit bildeten. Als ich zum ersten Mal auf die FARC stieß, hatte ich keine Angst. Eher war ich neugierig. Was mich besonders faszinierte, waren ihre Waffen.

Zwei ihrer Leute haben mich beiseite genommen und gesagt, ich sollte mich ihnen anschließen. Ich habe das aus purer Neugier akzeptiert und weil damit alle meine Probleme gelöst waren. Ich konnte ein neues Leben beginnen. 

Das Leben in der Guerilla ist total anders. Zu Hause hatte ich persönliche Probleme, sie betrafen mich selbst und meine Familie. Die Guerilla ist etwas anderes als deine Familie. Zwar kannst du es nicht vergessen, wenn sie deine Freunde töten. Aber wenn es um deine eigene Familie geht, sieht die Sache noch einmal anders aus. 
Ich habe es nie bereut, zur Guerilla gestoßen zu sein – bis zu dem Augenblick, als sie einen Freund von mir töteten. Wir hielten uns damals in einer gefährlichen Gegend auf, ein hartes Leben. In einem Dorf gab es eine Feier. Ein Mann wollte ein Mädchen vergewaltigen. Wir hörten davon und haben den Mann getötet. Mein Freund Camilo, der mit dem Getöteten befreundet war, versteckte sich in einer Schule, betrank sich und erschoss den Kommandanten unserer Gruppe. Daraufhin haben sie Camilo umgebracht. Ich war sehr traurig, wir waren uns sehr nahe gestanden.

Wenn du Mitglied der Guerillagruppe bist, kann dich der Kommandant der Gruppe jederzeit töten. Das ist der Grund, weshalb ich mich davon gemacht habe – so wollte ich ihnen nicht ausgeliefert sein. Aber nach wie vor erscheint mir die Idee gut, für dein Dorf und deine Gemeinschaft zu kämpfen. 

Ich bin geflohen, als der Kommandant der Gruppe einmal das Lager verlassen hatte. Mit einem Boot bin ich zum Dorf meiner Mutter gekommen. Sie hat mir Geld gegeben. Die Guerilleros haben mich verfolgt. Sie versuchten mich aufzustöbern, und sie fanden auch rasch heraus, wo ich mich aufhielt. Aber ich war schneller als sie. 
Mir gefällt das Militär sehr und auch die Medizin. Ich möchte zum Militär, und ich will dort Krankenschwester werden. Weil ich bei der Guerilla Krankenschwester war, musste ich nicht so viel kämpfen. Aber wenn wir nicht genug Leute waren, musste ich natürlich auch schießen. Man hofft ja immer, dass nicht so viele verletzt werden. Ich will eine Ausbildung machen, ich bin sehr pflichtbewusst. Wenn mir jemand eine Aufgabe gibt, bleibe ich so lange dran, bis sie erledigt ist.

Für die Menschen auf dem Land ist es normal, dass jemand bei der Guerilla war. Aber in der Stadt kannst du das nicht offen sagen. Die Leute bekommen Angst oder werden wütend. Wenn du zurückkehrst in dein Dorf merken sie, wie du dich verändert hast – du redest anders und bist stärker geworden. 
Meine Hauptaufgabe bestand darin, die Geiseln zu bewachen. Die Geiseln stammten aus den USA, ein Vater mit seinem Sohn. Sie sagten, sie wären schon seit fünf Jahren gefangen, ich war drei Monate mit ihnen zusammen. Ich hatte die Schlüssel und brachte ihnen zu essen. Sie haben die ganze Zeit geweint. Ich durfte nicht zu nett zu ihnen sein, sonst hätten sie mich getötet. Ich wusste die ganze Zeit nicht, ob sie sie umbringen würden. Sie bekamen ihr Frühstück und Milch zu trinken, aber sie waren sehr deprimiert, weil sie nicht wussten, wie lange sie noch hier bleiben mussten.

Einmal hatte ich ein besonders deprimierendes Erlebnis. Ein Schwager von mir war als Geisel genommen worden – ganz zufällig! Über ein Jahr lang blieb er in Gefangenschaft. Die Haare wuchsen ihm ganz lang. Abends habe ich mich zu ihm gesetzt und er hat mir Geschichten von früher erzählt. Sie hatten ihn aus finanziellen Gründen festgenommen, denn der Mann einer seiner Schwestern ist ein Drogenbaron. Durch die Geiselnahme wollten sie an sein Geld rankommen. Mein Schwager flehte mich an, ihnen zu sagen, dass er kein Geld habe und dass sie ihn freilassen sollten. Da ich die Gruppe verlassen habe, ich weiß bis heute nicht, was aus ihm geworden ist und ob sie ihn getötet haben. 

Wenn du Mitglied der Guerilla bist, hast du Macht. Aber ich habe die Macht nicht genossen. Immer musst du dich verstecken, und nie kannst du entspannt sein. Ich habe sehr unter diesem Druck gelitten. Immer musst du aufpassen. Das lässt mich bis heute nicht in Ruhe. Ich leide immer noch darunter und muss Pillen nehmen. Aber es gibt auch Momente, in denen es mir gut geht. Ich glaube, ich bin jetzt außer Gefahr.

(Protokoll eines Interviews im März 2013)

Letzte Aktualisierung dieser Seite: 26.07.2013 (s. admin)Online Kompetenz  |  Sitemap  |    |