Kinder und Jugendliche auf den Straßen São Paulos (Südosten)
(Text und Foto: Joana Stümpfig, Juli 2009)

São Paulo ist mit über 20 Millionen Einwohnern die größte Stadt Brasiliens. Viele lassen sich von den vermeintlichen Reichtümern der Stadt angelocken und leben dann dort in Armut, unzählige werden in São Paulo in die Armut hinein geboren.

2007 wurde eine Studie über die Kinder und Jugendlichen auf den Straßen der Stadt durchgeführt. Das Fachpersonal, das die Untersuchung realisierte, konnte mit 2000 Kindern Kontakt aufnehmen. Dies bedeutet aber nicht, dass es sich dabei um alle Straßenkinder in São Paulo gehandelt hätte.

Die auf den Straßen angetroffenen Kinder und Jugendliche waren überwiegend Jungen (77,7%) und Jugendliche (73,6%). In Brasilien wird zwischen Kindern und Jugendlichen in der Weise unterschieden, dass mit dem 13. Lebensjahr die Jugendzeit beginnt. Da die Studie nur Minderjährige ab sieben Jahren berücksichtigt, waren somit 26,4% der befragten Kinder zwischen sieben und zwölf Jahren. Außerdem gehören 80,3% dieser Kinder und Jugendlichen nicht der kaukasischen Bevölkerungsgruppe an. Mehr als die Hälfte von ihnen ging zum Zeitpunkt der Studie nicht zur Schule, hatte früher aber die Schule besucht. Auffallend war, dass die Mehrheit der Kinder bereits seit vielen Jahren auf der Straße lebt. Nur 10% waren erst weniger als ein Jahr auf der Straße, die Mehrheit (29,9%) seit drei bis fünf Jahren. Über 25% der befragten Kinder und Jugendlichen hielten sich schon seit mehr als sechs Jahren auf der Straße auf, einige sogar länger als 10 Jahre. Viele dieser Kinder sind auf der Straße geboren. Mitunter haben sie eine kurze Zeit in einer Hütte in einer Favela verbracht oder lebten in einem Kinderheim. Die Sozialisierung fand fast ausschließlich auf der Straße statt. Nun fällt es den betroffenen Kindern schwer, sich in einem anderen Umfeld zu bewegen und sich dort zu behaupten. Bei vielen dieser Kinder handelt es sich um so genannte „Projektkinder“. Sie wechseln von einem Projekt zum anderen, halten es dort aber nie lange aus und kehren dann wieder in ihr gewohntes Umfeld, die Straße, zurück. In der zitieren Studie hatte mehr als die Hälfte (52,6%) der Kinder Erfahrungen in Institutionen und Projekten, viele von ihnen in Kinderheimen.

In dieser Untersuchung wurden nicht nur Kinder berücksichtigt, die permanent auf der Straße leben (crianças de rua), sondern auch solche, die nur einen Teil ihrer Zeit auf der Straße verbringen (crianças na rua). Die Mehrheit (82,6%) der befragten Kinder Jungen spielenerklärte, dass sie mindestens fünf Tage in der Woche auf der Straße verbringt, 66,9% bleiben dort auch über Nacht, und zwar nicht nur, um zu schlafen, sondern auch, um Geld zu verdienen. 56,8% sind jeden Tag auf der Straße, 58,6% schlafen auch dort. Selbst in der Gruppe von Kindern, die angegeben hatten, jeden Tag nach Hause zu ihrer Familie zu gehen, gab es einen Anteil (16,5%), der schon ein- oder mehrmals auf der Straße geschlafen hat. Wenn Kinder die Nacht auf der Straße verbringen, befinden sie sich in einer Situation äußerster Gefährdung. Meist beginnen mit dieser Erfahrung die Straßenkarrieren. Zuerst geht man auf die Straße, um für seine Familie Geld zu verdienen. Dann verbringt man die eine oder andere Nacht auf der Straße, zum Beispiel, weil man nicht genug Geld verdient hat und sich nicht traut, nach Hause zurück zu kehren, oder weil man sein verdientes Geld selbst ausgeben will, etwa für Drogen. So beginnt ein Kind, immer länger auf der Straße zu leben. Es kehrt immer seltener zurück, bis es den Kontakt mit seiner Herkunftsfamilie ganz aufgibt. 

Um die Situation dieser Kinder und Jugendlichen besser zu verstehen, sollte man wissen, mit wem sie ihre Zeit verbringen. Von den befragten Kindern der genannten Studie gaben 76% an, ohne Kontakt zu Erwachsenen auf der Straße zu leben. Viele (56,4%) hatten sich Gruppen angeschlossen, die nur aus Kindern und Jugendlichen bestanden. Die Hälfte der Kinder hatte Verwandte (Geschwister oder Cousins) in der selben Gruppe. 17,8% der Befragten gaben an, alleine auf der Straße zu sein. 24% waren mit Erwachsenen zusammen auf der Straße, nur in der Hälfte der Fälle handelte es sich dabei um Verwandte.

In der Studie wurden auch die beobachteten Aktivitäten der Kinder festgehalten:

  • Flanelinha - Helfen beim Autoeinparken und Bewachung der Fahrzeuge 1,2%
  • Rodinho - Putzen der Windschutzscheiben 1,9%
  • Malabares - Jonglieren bei Ampeln 4,0%
  • Vendendo - Kleinigkeiten (Kaugummis etc.) verkaufen 27,0%
  • Esmolando - Betteln 12,5%
  • Engraxate - Schuhe putzen 3,0
  • Catando - Wiederverwertbares Material sammeln 3,1%
  • Einfach rumsitzen oder laufen 44,2%
  • Drogen konsumieren 1,1%
  • Eine Dienstleistung anbieten (Tüten tragen etc.) und betteln 0,4%
  • Etwas verkaufen und betteln 0,6%
  • Andere Aktivitäten 1,0%

Um Geld zu verdienen, gingen die Kinder, nach eigenen Angaben, hauptsächlich folgendermaßen vor: 

  • Helfen beim Autoparken und Bewachung der Fahrzeuge 51%
  • Putzen der Windschutzscheiben 32%
  • Verkaufen von Kleinigkeiten 38,0%
  • Betteln 49,6%
  • Jonglieren 9,0%
  • Recycelbares Material sammeln 7,6%
  • Schuhe putzen 8,9%
  • Anderes 2,6%
  • Diebstahl 7,7%
  • Prostitution 0,4%

Die Hälfte (45,9%) der Kinder gab an, das verdiente Geld für den eigenen Bedarf zu nutzen, 10,3% übergaben es ihrer Familie. 40,5% behielten einen Teil für sich und gaben der Rest ihrer Familie ab. Die wenigstens der Kinder waren Waisen (1,5% der Befragten gaben an, keine Familie zu haben). Die meisten Familien stammten aus São Paulo oder aus der Umgebung. Die  Hälfte der Kinder gab an, jeden Tag, 23,2% nie nach Hause zu gehen 



Letzte Aktualisierung dieser Seite: 14.07.2011 (M. Stork)