Jugendgangs in Mexiko
(Hartwig Weber, 2012)

Im spanischsprachigen Lateinamerika werden die Jugendbanden meist „pandillas juveniles“, ihre Mitglieder „cholos“ oder „chavos banda“ („Bandenjugendliche“) genannt. Um den diskriminierenden Beigeschmack der Begriffe „Bande“ oder „Gang“ zu vermeiden, spricht man in der Jugendforschung ersatzweise von „Jugendkulturen“, „Subkulturen“ oder „Jugendbewegungen“.

„Pachucismo“
In Mexiko geht das Phänomen, dass sich Jugendliche in Gruppen zusammenschließen, auf die „pachucos“ der dreißiger und vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts zurück. Diese eigenständige Jugendbewegung machte sich durch besonderen Kleidungsstil und auffälliges Verhalten bemerkbar, die in der Folgezeit in den nördlichen Regionen des Landes und weit darüber hinaus nachgeahmt wurden. „Der Pachuco war das erste grenzübergreifende Phänomen der armen Jugendlichen Nordmexikos und der Chicanos in den USA.“ (siehe José Manuel Valenzuela: Von den Pachucos zu den Cholos. Jugendbwegungen an der Grenze Mexiko – USA, in: Manfred Liebel und Gabriele Rohmann (Hg.): Entre Fronteras. Grenzgänge, Berlin 2006, S. 29ff.)

Cholos, chavos banda
Zu den Jugendgruppen, die die stilistischen Merkmale der pachucos übernahmen, gehören zum Beispiel die cholos oder chavos banda mit ihrer auffallenden Kleidung, ihren Tätowierungen, Graffiti und ihrer Sondersprache mit eigenen Begriffen als Identifikationssymbolen.
Cholos traten erstmals in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts hervor. Ausgehend von den städtischen Zentren breiteten sie sich, über Mexiko hinausgehend, auch in Zentralamerika aus.

Ursprünglich entstand der „Cholismo“ in den Gefängnissen der USA. Die mexikanischen Rückkehrer nahmen ihn in ihre Heimatländer mit, wo er von dortigen Jugendgruppen aufgegriffen wurde und zur „stärksten und nachhaltigsten grenzüberschreitenden Jugendbewegung“ nicht nur in Mexiko, sondern auch in den USA wurde (siehe José Manuel Valenzuela, ebenda S. 39).

Im Unterschied zu den Cholos orientiert sich die Jugendbewegung der chavos banda der Barrios an Punks der Musikrichtung Banda. Mit Tätowierungen versuchen sie, ihre Gefühle und politische Einstellung künstlerisch auszudrücken. Zwischen cholos und chavos banda findet ein reger linguistischer Austausch statt, so dass zahlreiche neu geprägte Begriffe eine Art lingua franca amerikanischer Jugendlicher darstellen. Gemeinsam ist den Zusammenschlüssen Jugendlicher das Bestreben, kollektive Identitäten auszubilden und ihren Wünschen und Bestrebungen Ausdruck zu verleihen, gerade dann, wenn diese im Widerspruch zu den Ansichten und Perspektiven der herrschenden Mehrheit stehen.

Selbstbehauptung
Die Favela- (bzw. Barrio-) Jugendlichen der siebziger und achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts waren meist Abkömmlinge von Familien, die nach der Flucht vom Land in den Slums der großen Städte gestrandet waren. Auf ihre Zusammenrottung reagierte die Gesellschaft verängstigt. Sie hängte ihnen das Stereotyp des Gefährlichen und Kriminellen an. Auf diese Weise wurden sie aus der gesellschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Teilhabe hinausgedrängt. Man denunzierte sie als grundsätzlich gewalttätig, bedrohlich und kriminell. In bestimmten Stadtteilen, Gegenden und an gewissen Plätzen tat man gut daran, ihnen aus dem Weg zu gehen. 

Naturgemäß entsteht die Erscheinung der Jugendgangs immer in Relation zu geschichtlichen und sozialen Kontexten, von denen sie abhängig ist und auf die sie reagiert. Wie überall, so bilden auch in Mexiko Vertreibungen, Verelendung und Arbeitslosigkeit den Hintergrund. Die Hälfte der Bevölkerung Mexikos lebt in Armut, mehr als 50 Prozent sind jünger als 20 Jahre alt. Dies entspricht in etwa der Lage in ganz Lateinamerika: 

- Von 200 Millionen unterprivilegierten Lateinamerikanern sind mehr als die Hälfte Kinder und Jugendliche. Die nachwachsende Generation ist vom Mangel und der wachsenden Kluft zwischen Armen und Reichen am stärksten betroffen.
- Diesen Jugendlichen stellt man im Blick auf die Volljährigkeit zwar alle gesellschaftlichen Partizipationsrechte in Aussicht. Tatsächlich eingelöst werden sie aber nicht.
- Was die Gesellschaft an Bildung und Kultur als Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben zu bieten hat, geht an ihnen vorbei.

In der Bildung von Jugendbanden zeigen Betroffene und Gleichgesinnte, dass sie willens und fähig sind, sich trotz widriger Umstände zu behaupten, die Welt, wie sie sie vorfinden, sich anzueignen, sie zu interpretieren und zu gestalten.

(mehr über lateinamerikanische Jugendbanden?)

(mehr über Jugendgangs in den USA?)



Letzte Aktualisierung dieser Seite: 27.10.2012 (s. admin)