Europa
- Obdachlose
-
|
Obdachlosigkeit (Text: Hartwig Weber, August 2011)
Obdachlose gibt es in allen Ländern Europas. Es handelt sich dabei um Menschen, die keine (mietrechtlich abgesicherte) Wohnung haben und deshalb bei Freunden oder Bekannten Unterschlupf suchen, in einem Heim oder in einer Notunterkunft wohnen oder ohne "Dach über dem Kopf" auf der Straße hausen. Das Polizei- und Ordnungsrecht pflegt darüber hinaus "freiwillige" von "unfreiwilliger" Obdachlosigkeit zu unterscheiden. Die Übergänge zwischen den beiden Kategorien sind naturgemäß fließend.
Alle vorhandenen Zahlen über Obdachlose beruhen auf Schätzungen. Während es in Deutschland im Jahr 2006 etwa 254 000 obdachlose Personen - darunter 64 000 Frauen und etwa 28 000 Kinder und Jugendliche - gegeben haben soll und zwischen 60 000 und 120 000 Familien mit bis zu 235 000 weiteren Personen von Wohnungsverlust bedroht waren, schätzen britische Wohlfahrtsorganisationen, dass es in ganz Großbritannie etwa 450 000 Obdachlose ("Hidden Homelss") gibt (vgl. Birte Bahlmann: Nirgendwo zu Hause. Obdachlose und ihr Zugang zu gesundheitlicher Versorgung. Eine vergleichende Systemanalyse zwischen Deutschland, England und Wales, Hamburg 2009).
In England und Wales wurde im Jahr 2002 der Homelessless Act erlassen. Danach haben die Gemeinden die rechtliche Verpflichtung, Wohnungslosen zu helfen. Um diese Hilfe möglichst gering zu halten, unterscheidet man zwischen unverschuldeter ("unintentionally") und selbstverschuldeter ("intentionally") Obdachlosigkeit. Nur solchen wohnungslosen Personen kann geholfen werden, die besonders gefährdet sind. Darunter fallen Schwangere, Erwachsene, die Kinder versorgen müssen, Alte, Behinderte, psychisch Belastete oder Menschen, die Opfer einer Katastrophe geworden sind. Obdachlose, die in England und Wales um Hilfe bitten, müssen nachweisen, dass sie besonderen Bedarf ("priority need") haben oder besonders gefährdet ("vulnerable") sind. Viele Obdachlose melden sich bei den Behörden erst gar nicht, weil sie befürchten, nicht anerkannt zu werden.
Alle diejenigen, die in Notunterkünften, billigen Hotels, bei Freunden und Bekannten untergekommen sind oder auf der Straße leben, haben keine Chance und werden in den britischen Statistiken nicht einmal geführt.
Gründe, die dazu führen, dass Menschen obdachlos werden, sind in Großbritannien dieselben wie in anderen Ländern: Langzeitarbeitslosigkeit, Armut, Mangel an bezahlbarem Wohnraum und fehlende soziale Unterstützung. Hinzu kommen häufig Erkrankungen, Verschuldung sowie Probleme in Familie und Ehe. Obdachlosigkeit ist also keine selbst gewählte Lebensform, sondern die Folge von Krisen. Die wachsende Zahl von Kindern, Jugendlichen und Frauen, die auf der Straße leben, weisen darauf hin, dass die staatlichen Hilfesysteme versagen.
Obdachlose Menschen stellen eine Gruppe von Menschen dar, die unter vielfältigen Krankheitsbildern leiden. Armut, Wohnungslosigkeit und Krakheit sind eng miteinander verbunden. Auf der Straße sind besonders alte und junge Menschen gesundheitsschädlichen und krankmachenden Einflüssen ausgesetzt. Soziale Ausgrenzung und andauernde Perspektivlosigkeit führen zu seelischer Belastung und psychischen Leiden. Angesichts des notwendigen Kampfes ums Überleben, bleibt für die Beachtung gesundheitlicher Belange weder Zeit noch Kraft. Die Lebenserwartung Obdachloser liegt (mit 46,5 Jahren) weit unter dem Durchschnitt der Normalbevölkerung. Häufige Krankheiten sind chronische Lungenbeschwerden, Hautinfektionen, Herz- und Kreislaufschwächen und Magenleiden. Meist kommt es zu einer Kumulation mehrerer Krankheiten. Psychische Leiden gehen oft mit übermäßigem Alkoholgenuss und Drogenkonsum einher.
|