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Bedrohte Kindheiten

Globalisierung
(Text und Fotos: Hartwig Weber, August 2009)

Inhaltsverzeichnis
Globalisierungsinstitutionen
Globalisierungskritiker
Globalisierungsbefürworter
Links und Literatur

Straßenkinder sind ein Phänomen der Armut. Weltweit wächst die Verelendung. Manche behaupten, die Zunahme der Zahl obdachloser Kinder und Jugendlicher der Straße, die man vor allem in den armen Ländern der Erde beobachtet, sei eine der Folgen des Globalisierungsprozesses. Mit Globalisierung oder Mondialisierung bezeichnet man den in den letzten Jahrzehnten immer deutlicher hervortretenden Vorgang weltweiter Verflechtung insbesondere in den Bereichen Wirtschaft, Kultur und Politik, ein Prozess, der mit einem bemerkenswerten Bedeutungs- und Machtverlust der Nationalstaaten einhergeht. Der Welthandel blüht. Es gibt immer mehr Kooperationen zwischen international agierenden Unternehmen, und eine schwindelerregende Globalisierung der Finanzmärkte bringt die Weltgemeinschaft an den Rand einer Katastrophe. Der Welthandel hat sich in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts fast verdreißigfacht. Die Marktöffnung in den Schwellenländern führte dort zu einem tiefgreifenden Strukturwandel und zum Verschwinden vieler Branchen, die global nicht konkurrenzfähig waren. Die Entwicklungsländer sehen sich vom Globalisierungsprozess, zumindest von seinen Segnungen, weithin ausgeschlossen und sind noch unausweichlicher ihrer Rückständigkeit verhaftet. Ihre Abhängigkeit von oft nur einem Rohstoff fesselt sie an die Schwankungen des Weltmarktpreises.
 
Die Auswirkungen der Globalisierung auf das Wohlergehen der Menschen sind umstritten. Es ist fraglich, ob die Globalisierung Armut und Unterentwicklung bedingt und verstärkt oder ob sie so viel neuen Reichtum hervorbringt, dass am Ende auch die armen Länder davon profitieren.

Nr: 440 Globalisierung_Meinungen
 

Lesehilfe:
Die Grafik zeigt das Ergebnis einer Umfrage, die die Meinung der Deutschen zur Globalisierung thematisiert. 71 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass die Globalisierung für Deutschland mehr Vorteile als Nachteile bringt.


Globalisierungsinstitutionen

Der fortschreitende Prozess der Globalisierung wird flankiert von immer mehr internationalen Vereinbarungen und völkerrechtlichen Verträgen. Gleichzeitig nimmt die Zahl der internationalen Organisationen zu. Die Vereinten Nationen (UNO) sollen den Weltfrieden, das Völkerrecht und die Menschenrechte sichern. Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) versucht, internationale Arbeits- und Sozialnormen zur Schaffung menschenwürdiger Arbeit und zur Bekämpfung der Armut durchzusetzen. Die Welternährungsorganisation (Food and Agriculture Oranization, FAO) arbeitet an der Verbesserung der Ernährungssituation und der Landwirtschaft. Dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) geht es um einen schonenden Umgang mit der Umwelt. Die Weltbank fördert die wirtschaftliche Entwicklung von weniger entwickelten Mitgliedsländern. Der Internationale Währungsfonds (IFW) versucht, die Weltfinanzen zu regulieren und ist am Management der internationalen Schuldenkrise beteiligt. Die Welthandelsorganisation (WTO) zielt auf die Liberalisierung des internationalen Handels und die Stabilisierung der Weltwirtschaft, und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) fördert die Zusammenarbeit der westlichen Industrienationen im Bereich der Ökonomie. Neben den staatlichen Institutionen begleitet, kommentiert und kritisiert eine Reihe internationaler Nichtregierungsorganisationen die weltweite wirtschaftliche und politische Verknüpfung samt ihrer Auswirkungen - unter ihnen Greenpeace und attac.

Globalisierungskritiker
Trotz allen Fortschritts leben heute noch 1,2 Milliarden Menschen (ein Fünftel der Weltbevölkerung) in absoluter Armut. Kritiker und Gegner der beschleunigten weltweiten Verknüpfungsprozesse haben festgestellt, dass die Verheißungen der Globalisierung ausbleiben und dass sich die Folgen, je nach Blickwinkel, äußerst ambivalent darstellen. Die expandierende Weltwirtschaft hat die Konkurrenz zwischen den Nationalstaaten beträchtlich verstärkt und führt zu tiefen Spannungen. Die kulturelle Globalisierung mit der Tendenz zu einer nivellierten Einheitskultur verdrängt überkommene regionale Traditionen und führt zu einer Dominanz "westlicher" Wertevorstellungen und Lebensstile. Diese Entwicklung weckt bei den Betroffenen tiefe Ängste, die durch Schlagworte wie "Kampf der Kulturen" (Samuel P. Huntington: "Clash of Civilizations") noch weiter geschürt werden.

Der Philosoph Slavoj Zizek zum Beispiel hält den globalisierten Kapitalismus für ein Monster. Er weist darauf hin, dass es sich dabei nicht nur um eine Wirtschaftsform, sondern auch um eine Art Religion handele. Die Erfahrungen der letzten (noch anhaltenden) Finanzkrise seien erhellend. Unfähig, den Hunger in der Welt zu bekämpfen, um dadurch Millionen von Menschenleben zu retten, weil dafür angeblich kein Geld vorhanden sei, flossen plötzlich Milliardenströme an Dollar und Euro, wenn es darum ging, das "Vertrauen" in die internationalen Finanzmärkte wieder herzustellen (vgl. Slavoj Zizek: Auf verlorenem Posten, Frankfurt am Main 2009. siehe auch Thomas Assheuer: Sprengmeister des Denkens, in: DIE ZEIT, 30. Juli 2009, S.32).

Der Soziologe Zygmunt Baumann (Verworfenes Leben. Die Ausgegrenzten der Moderne, Hamburger Edition, Hamburg 2005) weist auf Verelendung und Vertreibungen als Folgen der Globalisierung hin. Die wirtschaftliche Modernisierung produziere Mengen "menschlichen Abfalls", unüberschaubare Flüchtlingsströme überall auf der Welt, überschüssige und überzählige Teile der Bevölkerung, die an ihrem Wohnort nicht bleiben können. "Die flüchtige Moderne", so Bauman, "ist eine Zivilisation des Exzesses, des Überflüssigseins, des Abfalls und der Entsorgung von Abfall." (Verworfenes Leben, S. 136). Der Berg des Ausschusses wächst mit dem wirtschaftlichen Fortschritt. Der nicht regulierte und politisch nicht kontrollierte Globalisierungsprozess produziere immer mehr Menschen, denen die Lebensgrundlage im biologischen wie soziokulturellen Sinn genommen werde.

Kritiker und Gegner der Globalisierung sind sich einig, dass die internationale wirtschaftliche Verflechtung politikfreie Räume schafft. Gleichzeitig entsteht eine globale Herrscherschicht, die alle wichtigen wirtschaftlichen Entscheidungen trifft, unabhängig von nationalen Gesetzgebungen. Was fehlt, ist eine weltumspannende Politik ("Weltinnenpolitik"). Die superreichen Gewinner sind einzig von dem Bestreben motiviert, ihre immensen Reichtümer noch zu vergrößern. Ohne globales Politikkonzept gibt es kein durchsetzbares Recht, keine Weltverfassung, keine Weltdemokratie. Die globalen Eliten bewegen sich außerhalb der Reichweite politischerr Kontrolle.

Nach Meinung der Globalisierungsgegner führt die durch die weltwirtschaftliche Verflechtung verursachte Verelendung ganzer Bevölkerungsgruppen der Weltgesellschaft in den derzeit noch wohlhabenden Industriestaaten zu zunehmender Bedrohungsangst. Sie steigere die Abgrenzungs- und Abschottungsbemühungen. In den Entwicklungsländern leben die reichen Eliten in Panik und befürchten, die Akkumulation der Elenden und Überflüssigen in den großen Städten könnte den Punkt der Selbstentzündung erreichen, explodieren und sie hinwegspülen. Die Kluft zwischen den (noch) Reichen und den Armen der Welt wird dadurch tiefer, dass die Wohlhabenden befürchten, selbst an den Rand des Abgrunds gedrängt zu werden.


Nr: 463 Globalisierung_Vertrauen zu Organisationen


Globalisierungsbefürworter

Die Befürworter der Globalisierung sehen den internationalen wirtschaftlichen Verknüpfungsprozess und seine Folgen gelassener. Internationale Verflechtungen, sagen sie, seien kein neues Phänomen, sondern ein uralter Trend, der zu bestimmten Zeiten der Geschichte besonders intensiv in Erscheinung trete. Die Befürworter betonen, dass durch mehr Handel die Armut bekämpft werden könne. So hätten durch die Außenorientierung ihrer Handelspolitik zum Beispiel Länder wie China, Indien und andere asiatische Staaten ihre Wirtschaftsleistungen beträchtlich steigern und die Armut bekämpfen können. 

Tatsächlich sinkt seit Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts sowohl die Zahl der Armen als auch der Anteil der Armen an der Weltbevölkerung. In China ist gegen Ende des 20. Jahrhunderts der Anteil der in absoluter Armut lebenden Menschen um 80 Millionen, in Ostasien um 140 Millionen gesunken. Andererseits ist im gleichen Zeitraum die Zahl der absolut Armen in den Ländern südlich der Sahara um 73 Millionen, in Südasien um 48 Millionen und in Lateinamerika um 15 Millionen angewachsen. Heute erreichen die Entwicklungsländer nur etwa 15 Prozent, die Menschen in den ärmsten Ländern nur 5 Prozent des Einkommens der Industrieländer. 

Offenbar wirkt sich die Globalisierung äußerst ambivalent aus. Es ist nicht zu übersehen, dass die Menschenrechte, die Rechte der Arbeiter, die ökologischen Standards und Demokratie bisweilen auf der Strecke bleiben, während die Märkte unablässig wachsen. In den zurückliegenden Jahrzehnten hat sich die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den Entwicklungsländern zusehends verlangsamt, keineswegs beschleunigt, was die Befürworter der Globalisierung in Aussicht stellen. Der Liberalismus der Globalisierung hat die weltweite soziale Ungleichheit sowohl zwischen den Ländern als auch innerhalb einzelner Länder vertieft. In den Industrieländern herrscht im Allgemeinen Wohlstand. Beachtlicher Reichtum sammelt sich in den obersten Einkommensschichten der Entwicklungsländer an, während gleichzeitig bittere Armut die Lebenschancen der Mehrheit der Bevölkerung einschnürt. 

Global gesehen ist dennoch offensichtlich, dass in den vergangenen drei Jahrzehnten selbst in den ärmsten Ländern und unter der am Elend leidenden Bevölkerung weltweit soziale Fortschritte zu beobachten sind. In allen Weltregionen und Bevölkerungsschichten ist die Lebenserwartung gestiegen. Die Kindersterblichkeitsrate ist zurückgegangen, und die Ernährungs- und Gesundheitssituation hat sich verbessert. Gleichzeitig hat sich die Einschulungsquote erhöht, und die Zahl der Analphabeten ist gesunken. 

So bleibt die Einschätzung der Folgen der Globalisierung ambivalent. Die mit dem Prozess einhergehenden Probleme - wachsende Instabilität, Zunahme von Konflikten, Spannungen zwischen reichen und armen Regionen der Welt, drastisch steigende Ungleichheit - stehen der Tatsache gegenüber, dass die ökonomische Globalisierung ein Motor zur Steigerung des Wohlstandes der Menschen sein kann. Was dringend gebraucht wird, sind soziale Ziele für die Weltgesellschaft und globale Sozialprogramme. Neben den Prinzipien des Freihandels in der Weltwirtschaft und dem Grundsatz des Wettbewerbs muss die soziale Dimension der Entwicklung gestärkt werden.


Links und Literatur

> Bedeutung, Synonyme, Übersetzungen und Grammatik

> Links der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb

> Informationsportal zur politischen Bildung

> Index

> Globalisierung, Bedrohung oder Chance?

> Globalisierung verstehen

 
 
Literatur

- Ulrich Beck: Was ist Globalisierung? Frankfurt am Main 2007.

- Claus-Heinrich Daub: Globale Wirtschaft - globale Verantwortung, Basel 2005.

- Le monde diplomatique: Atlas der Globalisierung. Die neuen Daten und Fakten zur Lage der Welt, 2007.

- Johann Norberg: Das kapitalistische Manifest. Warum allein die globalisierte Marktwirtschaft den Wohlstand der Menschheit sichert. Frankfurt/M. 2003.

- Boike Rejbein, Hermann Schwengel: Theorien der Globalisierung. Konstanz: UVK, 2008.

- Michael Dellwing: Globalisierung und religiöse Rhetorik: Heilsgeschichtliche Aspekte in der Globalisierungsdebatte, 2008.

(mehr zum Thema Armut?)

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