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Bedrohte Kindheiten

Mutter und Kind
 

"Kindermütter". Als Minderjährige schwanger
(Text und Fotos: Hartwig Weber, Sor Sara Sierra J., Januar 2011)

Inhalt
Weniger Bevölkerungswachstum, mehr Kindermütter
Frühe Schwangerschaften. Bevölkerungsstatistik
Jugendalter
Minderjährige Mütter in Deutschland
Empfängnisverhütung, Abtreibungen, Totgeburten
Minderjährige Schwangere und Mütter in Lateinamerika und im Andenraum
Kindermütter in Kolumbien
Merkmale: Armut, Leben auf dem Land, Bildungsniveau
Motive für und Folgen von frühen Schwangerschaften
Abtreibungen und Kindersterblichkeit
Kindermütter auf der Straße (...)
Interview
Maßnahmen
Literatur


Weniger Bevölkerungswachstum, mehr Kindermütter

Unter den jungen Prostituierten auf dem "Babystrich" im Zentrum der kolumbianischen Metropole Medellín sind in den letzten Jahren immer mehr schwangere Mädchen zu beobachten. Kommt man näher in Kontakt mit ihnen, so erzählen sie mitunter, dass sie bereits mehrere Schwangerschaften erlebt haben und Geburten, Fehlgeburten oder Abtreibungen überstehen mussten. Aus anderen südamerikanischen Städten ist Ähnliches zu berichten. Dasselbe scheint für die meisten Metropolen der armen Länder zuzutreffen. Seit einigen Jahrzehnten zeigt sich weltweit ein erstaunliches soziales Phänomen: Es gibt immer mehr minderjährige Schwangere und jugendliche Mütter, während gleichzeitig das Bevölkerungswachstum zurückgeht. Dieser Umstand hängt gewiss damit zusammen, dass  heute Jugendliche früher sexuell aktiv werden, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass eine kritische oder positive Einschätzung früher Schwangerschaften auch kulturell bedingt ist. Unter den ethnischen Minderheiten in Südamerika, zum Beispiel indianischen Gruppen im Amazonasurwald oder am Pazifik, auch bei Sinti und Roma in Europa oder in manchen Gegenden der Türkei ist es nichts Ungewöhnliches, frühzeitig zu heiraten und sich bereits in jungen Jahren fortzupflanzen.

Weltweit betrachtet ist aber auffällig, dass die meisten minderjährigen Schwangeren und jugendlichen Mütter in ländlichen Gebieten und in Familien aufwachsen, die unter Armut leiden. In Entwicklungsländern haben die meisten Kindermütter eine vergleichsweise geringere Schulbildung als ihre Altersgenossen, die erst später Nachwuchs bekommen.

In Deutschland wie in allen nordwesteuropäischen Staaten werden, statistisch gesehen, verhältnismäßig wenige Mädchen im Alter zwischen 12 und 18 Jahren schwanger, immerhin sind es jährlich etwa 20 000. Das sind drei Prozent aller Mädchen unter 18 Jahren oder acht bis neun von 1000 Frauen. Fünf von 100 000 Mädchen sind sogar erst 13 Jahre alt, wenn sie schwanger werden. In der Gruppe der Mädchen im Alter bis einschließlich 17 Jahre ist ein stetiger und deutlicher Anstieg der Lebendgeburten zu beobachten. Diese Zunahme fällt bei den Jüngsten am deutlichsten aus.


Meist sind die Schwangerschaften der Mädchen ungewollt. Je jünger sie sind, umso häufiger kommt es zu Abtreibungen oder Totgeburten. Immer mehr Mädchen und junge Frauen in Deutschland entscheiden sich für einen Schwangerschaftsabbruch, in Westdeutschland häufiger als in Ostdeutschland. Auf die Frage, weshalb sie schwanger geworden sind, antworten die meisten Minderjährigen (etwa 60 Prozent), die Verhütungsmittel oder -maßnahmen (Kondome, Pillen, Berechnung der unfruchtbaren Zeit) hätten versagt. Über die „Pille danach" weiß die Hälfte aller Mädchen nicht Bescheid. 10 Prozent der Betroffenen nehmen vor der 22. Woche überhaupt nicht wahr, dass sie schwanger sind.

Hauptschülerinnen werden häufiger schwanger als Gymnasiastinnen. Letztere entscheiden sich öfter für einen Schwangerschaftsabbruch. Haupt- und Realschülerinnen tragen ihr Kind häufiger aus. Offenbar sehen die jungen Frauen mit niedrigerem Schul- und Ausbildungsabschluss in der Mutterschaft einen Zuwachs an gesellschaftlicher Anerkennung. Nicht wenige minderjährige Mütter stammen aus Familien, in denen sie Vernachlässigung, Scheidung der Eltern und Alkoholismus erfahren haben. Mädchen, deren Mütter bei der Geburt noch sehr jung waren, neigen überproportional häufig dazu, selbst noch als Jugendliche Kinder zu bekommen.

Auf junge Mädchen, die auf der Straße leben, treffen sämtliche Merkmale zu, die das Risiko früher und problematischer Schwangerschaft erhöhen: Armut, Gewalt, mangelnde Schulbildung, Lebenskrisen, Missbrauch, fehlende Aufklärung und unzureichende Gesundheitsfürsorge. 

zwei Mädchen

 Frühe Schwangerschaften. Bevölkerungsstatistik 

Seit Mitte der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts geht weltweit das Bevölkerungswachstum zurück. Dies hat in einigen Ländern dazu geführt, dass staatliche Maßnahmen ergriffen werden, um gegenzusteuern. In manchen Gegenden wie zum Beispiel in den andinen Ländern Lateinamerikas ist das Bevölkerungswachstum zwischen 1975 und 2005 um ein Drittel gesunken. In dieser Zeit fiel die Zahl der minderjährigen Mutterschaften nur um 6 Prozent. In manchen Ländern nahm sie sogar zu.

Lebten 1950 noch 2,5 Milliarden Menschen auf der Welt, sind es heute etwa 6,8 Milliarden, und die Prognosen des Department of Economic and Social Affairs (UN/DESA) reichen von 8,0 bis 10,5 Milliarden Menschen für das Jahr 2050. In vierzig Jahren dürfte die Bevölkerungszahl mindestens bei 9,15 Milliarden liegen. Nachdem die Anzahl der Menschen über Jahrtausende beständig gestiegen ist, wird sich der Trend nach mittleren Entwicklungsprognosen des UN/DESA etwa ab 2070 umkehren. Bis dahin wird die Weltbevölkerung bei insgesamt sinkenden Wachstumsraten weiterhin zunehmen. Die mittlere Entwicklungsprognose des UN/DESA geht davon aus, dass die weltweite Geburtenhäufigkeit von 2,56 Kindern (2005 - 2010) auf 2,02 Kinder pro Frau (2045 - 2050) sinken wird.

Die absolute Zahl der Menschen, die in den ökonomisch am wenigsten entwickelten Staaten leben, wird sich zwischen 2005 und 2050 von 762 Millionen auf 1,67 Milliarden mehr als verdoppeln. In Afghanistan, Burkina Faso, Niger, Somalia, Timor und Uganda wird die Bevölkerungszahl in diesem Zeitraum um mindestens 150 Prozent zunehmen. Neun Staaten sind für die Hälfte des zu erwartenden Bevölkerungswachstums verantwortlich: Indien, Pakistan, Nigeria, Äthiopien, USA, Demokratische Republik Kongo, Tansania, China und Bangladesch (sie sind hier in der Reihenfolge ihres absoluten Anteils an der Bevölkerungszunahme aufgelistet).

In allen ökonomisch entwickelten Staaten lag die Zahl der Geburten im Zeitraum von 2005 bis 2010 niedriger, als es für die Reproduktion der Bevölkerung erforderlich wäre. Liegt die Geburtenhäufigkeit in den reichen Ländern gegenwärtig im Durchschnitt bei 1,64 Kindern pro Frau, so wird für den Zeitraum bis 2050 eine leichte Steigerung auf 1,80 erwartet. In den Entwicklungsländern beläuft sich die Geburtenhäufigkeit gegenwärtig auf durchschnittlich 4,39 Kindern pro Frau. Entsprechend der mittleren Entwicklungsprognose wird Indien nach 2025 China als bevölkerungsreichstes Land ablösen. Im Jahr 2050 werden, der Schätzung zufolge, rund 1,42 Milliarden Menschen in China und rund 1,61 Milliarden Menschen in Indien leben.

Mädchengruppe

 

Jugendalter

Wer Schwangerschaft und Mutterschaft Minderjähriger problematisiert, setzt bewusst oder unbewusst einen Begriff von Jugend voraus als Zeitspanne im Leben des Menschen, der besondere Charakteristika zugesprochen werden. Das Jugendalter als eigene Lebensphase zwischen Kindheit und Erwachsenenalter hat sich in Europa im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts herausgebildet. Im juristischen Sinn gilt in Deutschland als Jugendlicher, wer zwischen 14 und 18 Jahren alt ist (§7 Abs.1 Nr. 2 SGB VIII; § 1 Abs.2 JGG). Junge Volljährige sind mindestens 18, aber noch nicht 27 Jahre alt. Der Lebensabschnitt Jugend ist insbesondere gekennzeichnet durch die Pubertät und den Eintritt der Geschlechtsreife. Sie endet spätestens mit 19 Jahren. Mit der sexuellen Reife können sich Jugendliche fortpflanzen. In den letzten Jahrzehnten hat sich der Eintritt der Geschlechtsreife vom 15. auf das 13. Lebensjahr vorverlegt. Bei manchen Kindern beginnt sie bereits mit 9 Jahren.

In der Jugendphase erleben Mädchen tiefgreifende körperliche und seelische Veränderungen, die erste Menstruation, das Wachstum der inneren und äußeren Genitalien. Sie erfahren sexuelle Wünsche in neuer Intensität und Qualität. Für sie beginnt jetzt der Prozess der Auseinandersetzung mit dem Thema Fruchtbarkeit, der Möglichkeit also, schwanger zu werden und Kinder zu gebären.

Das zentrale Thema der Jugend oder Adoleszenz ist das der Identitätsfindung, der Selbstwahrnehmung, Selbstbewertung und Selbstreflexion. Jugendliche sind auf dem Weg der Entwicklung und Ausprägung intellektueller und sozialer Kompetenzen. Sie sollen dereinst ein selbständiges Dasein innerhalb der Gesellschaft führen und ihr Überleben eigenständig meistern können. In Auseinandersetzung mit den äußeren Lebensbedingungen, sozialen Leitbildern und Rollen, den herrschenden Geschlechterstereotypen und zur Verfügung stehenden Familienmodellen entwickeln sie ihren Lebensplan. Heute streben die meisten Mädchen zumal in Mitteleuropa danach, sowohl einen Beruf auszuüben wie eine Familie zu haben.


Minderjährige Mütter in Deutschland

Wie in anderen Ländern, so ist auch in Deutschland das Bevölkerungswachstum rückläufig. Erstaunlicherweise fällt jedoch die Abnahme der Geburten jugendlicher Mütter weniger stark aus. Sabine Biel hat umfangreiches Datenmaterial über jugendliche Schwangere und Mütter in ihrer Examensarbeit gesammelt (Link: http://opus.haw-hamburg.de/volltexte/2006/60/pdf/sp_d.06.26.pdf).), die auch als Buch veröffentlicht wurde (vgl. Sabine Biel: Schwangerschaft im Jugendalter, VDM Verlag, 2007). Demnach ist in letzter Zeit ein deutlicher Anstieg der Zahl minderjähriger Mütter im Alter bis einschließlich 17 Jahre zu verzeichnen. Von 1998 bis 2002 ist die Zahl der Lebendgeburten bei Mädchen bis 14 Jahre um 31 Prozent, bei 15-Jährigen um 30 Prozent gewachsen. In Deutschland wurden 1998 4683 Kinder von minderjährigen Müttern geboren, im Jahr 2002 waren es bereits 5420. Erst bei jungen Frauen ab 18 Jahren sinken die Lebendgeburten. Der Anstieg der Geburten im Jugendalter, der der allgemeinen Tendenz der rückläufigen Geburtenzahlen entgegen steht, betrifft also hauptsächlich die Gruppe der minderjährigen Jugendlichen bis ins Alter von einschließlich 17 Jahren.


Nach Befragungen soll ein Viertel der Minderjährigen den ersten Geschlechtsverkehr „völlig ungeplant und überraschend" erlebt haben. Daraus wird ersichtlich, dass sich das praktische Verhütungsverhalten in den letzten Jahren nicht verbessert, sondern eher verschlechtert hat. Die Hochschätzung spontaner Sexualität scheint ein Grund dafür zu sein, weshalb Maßnahmen zur Verhütung vernachlässigt werden. Bis zu 20 Prozent der 14- bis 15-Jährigen benutzen bei der ersten sexuellen Begegnung offenbar überhaupt keine Verhütungsmittel. Es ist also der erste Geschlechtsverkehr, der im Blick auf ungeplante Schwangerschaften ein besonderes Risiko darstellt. Dies betrifft vor allem Mädchen von 14 und 15 Jahren, die im Kontakt mit unbekannten oder wenig vertrauten Partnern keine Verhütungsmaßnahmen ergreifen und dann ungeplant und ungewollt schwanger werden.


Entgegen der in Deutschland verbreiteter Meinung, dass insbesondere ausländische Jugendliche schwanger würden und Kinder bekämen, fallen nur etwa 10 Prozent der Geburten Minderjähriger auf Ausländer. Pro Jahr werden in Deutschland zwischen 500 und 600 Kinder von Mädchen mit ausländischer Staatsangehörigkeit im Alter bis einschließlich 17 Jahre geboren.
 
 
Empfängnisverhütung, Abtreibungen, Totgeburten

Jugendliche sollten es heute mehr als früher verstehen, Mittel einzusetzen, die Schwangerschaften verhüten. Universell sind Kenntnisse über Geburtenplanung weit verbreitet und in den letzten Jahrzehnten beträchtlich gewachsen. Fast alle Jugendliche kennen Verhütungsmethoden, aber häufig praktizieren sie sie nicht. Sie haben auch nur wenig Kenntnis von ihrer eigenen Sexualität. Wie Befragungen zeigen, weiß ein Großteil von ihnen nicht, dass die fruchtbare Phase der Frau in der Mitte des Menstruationszyklus liegt. Nur wenige Mädchen und Frauen kennen ihre eigene fruchtbare Periode.

Unkenntnis und Fehler bei der Verhütung führen zu ungeplanten und unerwünschten Schwangerschaften. Naturgemäß ist ein großer Teil der Schwangerschaften Minderjähriger ungewollt.

Heute entschließen sich bedeutend mehr jugendliche Schwangere abzutreiben, als ihr Kind auszutragen. Dies belegt, dass frühe Schwangerschaften häufiger ungewollt sind. Die Zahl der offiziell gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche bei deutschen Jugendlichen hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Der Anstieg betrug zwischen 1998 und 2002 bei Mädchen im Alter bis 17 Jahre 33 Prozent. In derselben Zeit gingen die Abbrüche von Schwangerschaften in Deutschland insgesamt um 1,1 Prozent zurück. Schwangerschaftsabbrüche von Minderjährigen laufen also wie die Zahl der Geburten Jugendlicher der gesamtgesellschaftlichen Tendenz entgegen. Abbrüche und Geburten, die insgesamt gesehen abnehmen, steigen in der Gruppe der Minderjährigen an.


Nr: 458 Schwangerschaftsabbrche in Europa


Schwangerschaften Minderjähriger unter den ärmsten Bevölkerungsschichten in den Ländern Lateinamerikas und anderen Entwicklungsländern sind angeblich zum Großteil gewollt. Jugendliche in armen Schichten und ohne Schulausbildung, die früher als Gleichaltrige in besseren Lebensbedingungen sexuell aktiv werden, benutzen seltener Verhütungsmittel. In Ecuador zum Beispiel verhüten lediglich 13,5 Prozent der Jugendlichen beim ersten Sexualverkehr, in Chile sind es 54,8 Prozent, in Venezuela 50 Prozent.

Die Wahrscheinlichkeit einer Totgeburt ist bei Schwangeren in jungen Jahren größer als bei erwachsenen Frauen. Ihr Anteil beträgt bei Volljährigen etwa 0,4 Prozent. Bei 17- bis 19-Jährigen nimmt die Rate leicht, bei jüngeren Mädchen stark zu. Bei Kindermüttern im Alter von 14 Jahren machen Totgeburten sogar bis zu 0,9 Prozent aus.

  
Minderjährige Schwangere und Mütter in Lateinamerika und im Andenraum

Die Beobachtung, dass überall auf der Welt das Bevölkerungswachstum zurückgeht, gleichzeitig aber die Fruchtbarkeit Minderjähriger konstant bleibt oder sogar steigt, gilt auch für die Länder Lateinamerikas. Seit 1990 ist dort die Anzahl der Schwangerschaften Minderjähriger im Steigen begriffen. Dies trifft für städtische wie ländliche Gebiete zu. Minderjährige Mütter bekommen ihr erstes Kind meist, ehe sie eine Paarbindung oder Ehe eingehen. Immer mehr minderjährige Mütter leben allein, ohne festen Partner, und sie müssen ihre Kinder ohne dessen Hilfe aufziehen.

In den sechs Andenländern - Bolivien, Chile, Ecuador, Kolumbien, Peru und Venezuela - leben zur Zeit 28,8 Millionen Menschen im Kindes- und Jugendalter. Über 20 Prozent der gesamten Bevölkerung sind Kinder, weitere 20 Prozent Jugendliche. Die Hälfte der Jugendlichen ist 10 bis 14 Jahre, die andere Hälfte 15 bis 19 Jahre alt. 51 Prozent der Jugendlichen sind männlich, 49 Prozent weiblich.

Von 7 Millionen weiblichen Jugendlichen im Andenraum im Alter zwischen 15 und 19 Jahren sind über eine Million schwanger oder bereits Mütter, das sind etwa 18 Prozent. Die meisten schwangeren Mädchen gibt es in Venezuela, Kolumbien und Ecuador. Weniger häufig kommen Schwangerschaften Minderjähriger in Peru, Bolivien und Chile vor. In einigen Gebieten gehören junge Mutterschaften zur herrschenden Kultur, so unter der indianischen Bevölkerung in Bolivien und Ecuador.

Während das Bevölkerungswachstum in allen sechs Andenländern zurückgeht, bleibt die Zahl der Mutterschaften Minderjähriger gleich, nimmt nur geringfügig ab oder zum Teil sogar zu. Die Fruchtbarkeit Jugendlicher betrifft stärker Mädchen als Jungen. Die meisten Kinder von minderjährigen Müttern haben erwachsene Väter. In Peru zum Beispiel kommt auf 10 Mütter eine Minderjährige, aber auf 50 Vaterschaften nur eine eines männlichen Jugendlichen.

Häufig sind die Schwangerschaften Minderjähriger ungewollt. In Bolivien, Kolumbien und Peru schätzt man die ungeplanten Schwangerschaften Minderjähriger auf bis zu 70 Prozent. Die Gründe dafür sind vor allem fehlendes Wissen um Sexualität und Fruchtbarkeit, mangelnde Information über Empfängnisverhütung, kein Zugang zu Verhütungsmitteln, kaum entwickeltes Bewusstsein von den Folgen und mangelnde Kommunikation zwischen den Partnern. Nicht selten gehen Schwangerschaften auf sexuellen Missbrauch und Inzest zurück.
 

Kindermütter in Kolumbien

Daten über Schwangerschaft und Mutterschaft von Minderjährigen in Kolumbien und angrenzenden Ländern sind u.a. folgenden Untersuchungen zu entnehmen: Carmen Elisa Flórez / Victoria Eugenia Soto: Fecunidad Adolescente y Desigualdad en Colombia y la Región de Amércia Latina y el Caribe, ed. Reunió de Expertos sobre Población y Pobreza en Amérca Latina y Caribe, Santiago de Chile 2006; El Embarazo en Adolescentes en la Subregión Andina. Organismo Regionale Andino de Salud, Marzo 2008.

In Kolumbien wächst die Anzahl jugendlicher Mütter. Jahr für Jahr werden durchschnittlich 6000 bis 7000 Kinder geboren, deren Mütter noch Kinder sind. Allein in der Hauptstadt Bogotá sind es zwischen 600 und 700. Vor 30 Jahren machten Geburten Minderjähriger noch 7 Prozent aller Geburten aus. 1990 waren es 12 Prozent, 2005 bereits 19 Prozent. Rechnet man sämtliche Schwangerschaften einschließlich der Totgeburten und der Abtreibungen mit ein, so kommt man leicht auf über 20 Prozent Minderjährigengeburten (vgl. Carmen Elisa Flórez et al.: Fecunidad adolescente y desigualdad en Colombia y la Región de América Latina y el Caribe, Santiago de Chile 2006). Demnach hat sich Zahl der Geburten Minderjähriger während der letzten 15 Jahre um 60 Prozent, die der Schwangerschaften um 70 Prozent erhöht. Die Kindermütter wohnen zum größten Teil in den ärmsten Gebieten der Stadt, in der kolumbianischen Hauptstadt sind dies u.a.  Bosa, Engativá und der Slumgürtel Ciudad Bolívar.

 

Nach Angabe des Direktors des Instituto Colombiano de Bienestar Familiar wurden in Kolumbien im Jahr 2011 offiziell 6 156 Fälle schwangerer Mädchen im Alter von weniger als 14 Jahren aktenkundig. Zwischen Januar und September 2012 waren es 2 508 Fälle. Unbekannt ist, ob die dafür verantwortlichen Männer bestraft wurden oder nicht. Dabei sollte nach kolumbianischem Gesetz jede sexuelle Beziehung mit einer Minderjährigen unter 14 Jahren bestraft werden, sie gilt als sexueller Missbrauch. Artikel 208 des Códico Penal droht Gefängnisstrafen zwischen 12 und 20 Jahren an. Im Fall, dass der Vater des Kindes, ebenso wie die Mutter, selbst noch minderjährig ist, handelt es sich gleichfalls um sexuellen Missbrauch. Allerdings ist er, da jünger als 14 Jahre, noch nicht strafmündig. An seiner Statt werden die Eltern, die die Aufsichts- und Erziehungspflicht haben, von Gesetzes wegen bestraft. Ist der Vater des Kindes 14 Jahre oder älter, droht ihm aufgrund des Jugendrechts Freiheitsentzug. 

(vgl. Vida de Hoy, 13.01.2013) 

 

 Untersuchungen in Kolumbien wie in anderen lateinamerikanischen Ländern zeigen, dass das Phänomen der minderjährigen Mütter häufig mit drei Merkmalen verbunden ist: 1. Die meisten Kindermütter leben auf dem Land. 2. Sie sind nur wenige Jahre zur Schule gegangen. 3. Ihr Dasein ist von Armut geprägt. Fallen alle drei Charakteristika zusammen - Lebenssituation auf dem Land, Armut, geringe Schulbildung -, so potenziert sich das Risiko beträchtlich.

Jugendliche, die in Slums aufwachsen, werden sexuell früher aktiv als Gleichaltrige in wohlhabenden Gegenden. Verfrühte Schwangerschaften haben Folgen, die das Leben der Mutter, ihrer Familie, ihrer Umgebung, aber auch den Staat betreffen. Die Konsequenzen sind für alle Beteiligten durchweg negativ. Mutter und Kind laufen Gefahr, krank zu werden oder bei der Geburt zu sterben. Angesichts der Umstände droht der jungen Mutter eine Unterbrechung oder gar der Abbruch der Schullaufbahn. Dies beeinträchtigt die Möglichkeit, weiter an einer sicheren und aussichtsreichen Zukunft zu bauen. Häufig treten familiäre Probleme auf, schwangere Mädchen werden von ihren Verwandten zurückgewiesen oder verstoßen, und sie geraten schnell in emotionale und finanzielle Schwierigkeiten.

Da frühzeitige Schwangerschaften meist ungeplant sind, ist das erwartete Kind nicht erwünscht, entsprechend wird es empfangen und versorgt. Meist lebt die minderjährige Mutter nicht in einer festen Beziehung. Ihre ungesicherte Lebenslage birgt die Gefahr, dass die herrschende Armut neue Armut erzeugt.
 

Geschwister

Merkmale: Armut, Leben auf dem Land, Bildungsniveau

Je reicher eine Familie ist, in der ein Mädchen aufwächst, umso weniger läuft es Gefahr, frühzeitig schwanger zu werden. Schwangerwerden und minderjährige Mutterschaft sind oft mit einem Leben in Armut verbunden. Jugendliche, die unter ärmlichsten Verhältnissen in Slums aufwachsen, haben durchschnittlich ein niedrigeres Niveau an Schulbildung, sind früher sexuell aktiv, benutzen seltener empfängnisverhütende Mittel und werden früher schwanger. Mädchen aus armen Familien werden dreimal häufiger verfrüht schwanger als reiche Minderjährige. Überdies erhöht Armut die Sterblichkeitsrate von Mutter und Kind. Kennzeichnend für die Situation von Menschen in Armut ist ein erschwerter Zugang zu Sexualberatung, Verhütungsmitteln und Gesundheitsfürsorge. Obendrein geht Armut oft mit einem niedrigeren Bildungsniveau einher. Bei einer deutlichen Verbesserung der sozioökonomischen Lage einer Familie geht die Neigung zu frühzeitigen Schwangerschaften merklich zurück.

Am höchsten ist die Schwangerschaftsrate Minderjähriger in ländlichen Gebieten. Bei Minderjährigen, die in Nicaragua, Kolumbien oder der Dominikanischen Republik auf dem Land leben, ist die Fruchtbarkeit um ein Mehrfaches höher als in der Stadt. Dies scheint damit zusammen zu hängen, dass die Jugendlichen in den Städten einen besseren Zugang zur Schul- und Berufsbildung haben. Sie erwerben leichter Kenntnisse über Familienplanung und haben einen einfacheren Zugriff auf Verhütungsmitteln. Wenn minderjährige Mädchen auf dem Land doppelt so häufig schwanger werden wie Gleichaltrige in den Städten, so steigt der Unterschied auf das Siebenfache, wenn sie obendrein keine oder nur eine geringe Schulbildung genossen haben. Auf das Fünfzehnfache wächst die Wahrscheinlichkeit einer verfrühten Schwangerschaft, wenn Armut hinzukommt. 
Der Anteil der Jugendlichen, die schwanger sind, ist unter Mädchen ohne oder mit nur geringer Schulbildung viermal so hoch wie unter Absolventen einer Sekundarschule. Die Schwangerschaft eines minderjährigen Mädchens fällt gewöhnlich in die Zeit, in der Jugendliche die Abschlussklasse einer weiterführenden Schule besuchen. Der Abbruch der Schullaufbahn bedeutet, dass die Betroffenen den Ausbildungsgrad nicht erreichen, der sie für eine aussichtsreiche Berufslaufbahn qualifizieren könnte. Einige Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass Schulabbruch häufig die Folge der Schwangerschaft von Minderjährigen darstelle. Wahrscheinlich ist es jedoch umgekehrt: Vorzeitiger Schulabbruch führt häufig zu frühzeitiger Mutterschaft. Viele Mädchen, die bereits in jugendlichem Alter Mutter werden, haben die Schule verlassen, ehe sie schwanger wurden. Schulabbruch ist also eher Bedingung, seltener Konsequenz der Schwangerschaft von Minderjährigen. Fehlende Schulbildung führt zu verfrühter Schwangerschaft, nicht umgekehrt.

Je früher ein Mädchen die Schule abbricht und schwanger wird, umso stärker ist sein Lebensentwurf beeinträchtigt. Die wenigsten minderjährigen Mütter erreichen einen Sekundarschulabschluss. Je früher ein Kind zur Welt kommt, um so weniger Schuljahre absolviert seine minderjährige Mutter. Zwei Drittel der jugendlichen Mütter haben ihre Schullaufbahn vor der ersten Schwangerschaft abgebrochen. Die Zahl der Mädchen, die als Folge ihrer Schwangerschaft die Schule verlassen, ist gering. Mädchen aus den ärmsten Regionen der Stadt, die in minderjährigem Alter Mütter werden, verlassen zu 70 Prozent die Schule vor der ersten Schwangerschaft.
 
 
Motive für und Folgen von frühen Schwangerschaften

Bewusst oder unbewusst scheinen Minderjährige die Hoffnung zu hegen, dass sie durch eine Schwangerschaft die Beziehung zu einem Partner festigen und mit der Mutterschaft eine soziale Aufwertung erfahren werden. Nicht selten fallen die Schwangerschaften Minderjähriger mit kritischen Lebensereignissen zusammen - mit der Scheidung oder Trennung der Eltern, mit Schwierigkeiten in der Familie, mit dem Tod naher Verwandter, mit wirtschaftlichen Schicksalsschlägen. Dann kann sich bereits bei Jugendlichen der Wunsch regen, selbst ein Kind zu haben, das die eigene Befindlichkeit verbessert. Nicht selten ist der Alltag der Betroffenen von Gewalt, Alkoholmissbrauch und Vernachlässigung gekennzeichnet.
 Schwangerschaft und Mutterschaft erscheinen als Fluchtweg aus Konflikten und Krisen, ungeachtet der Tatsache, dass sie in neue Problemsituationen hineinführen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Töchter von minderjährigen Müttern ebenfalls bereits als Minderjährige Mütter werden, liegt bei 83 Prozent.

Die Mutterschaft Minderjähriger erscheint vielen Betroffenen offenbar als Strategie, um ein Leben in Armut besser bewältigen zu können. Dabei verfolgen sie drei Ziele: 1. Sie wollen schneller einen Partner oder Ehemann bekommen und die Unterstützung und Fürsorge eines starken Mannes gewinnen. 2. Gleichzeitig hoffen  sie, einen höheren Status, mehr Akzeptanz und ein besseres soziales Ansehen zu erreichen. 3. Sie wollen eine „richtige Familie" gründen und sind sich sicher, dadurch selbstbewusst, gestärkt und in emotionaler, ökonomischer und sozialer Hinsicht abgesichert leben zu können.

Die Zahl der 13- und 14jährigen Mütter nimmt zu. Die Folgen verfrühter Schwangerschaften und Geburten sind besonders gravierend, wenn die betroffenen Mädchen noch sehr jung sind und außerhalb einer stabilen Beziehung leben. Es drohen ihnen gesundheitliche Schäden und Hindernisse bei der Aufnahme einer angemessenen Arbeit. Frühe Schwangerschaften bringen den Lebensplan ins Wanken. Die Sterblichkeitsrate von Müttern fällt mit steigendem Alter (bis zu 34 Jahren) ab und ist bei den jüngeren (zwischen 15 und 19 Jahren) am höchsten. Bei Mädchen, die zwischen 15 und 19 Jahren ein Kind bekommen, ist die Gefährdung doppelt so hoch wie bei Müttern zwischen 20 und 30 Jahren. Schwangeren Minderjährigen droht eine soziale Stigmatisierung. Durch den Abbruch der Schullaufbahn gelingt es ihnen kaum, genügend „Humankapital" anzusammeln, das Basis für ein gelingendes Leben sein könnte.
 

Abtreibungen und Kindersterblichkeit

Überall auf der Welt, wo die Zahl der minderjährigen Schwangeren und der Kindermütter ansteigt, nehmen Schwangerschaftsabbrüche zu. Allein in den andinen Ländern soll es Jahr für Jahr 70 000 Abtreibungen geben. Gegen Ende der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurden in Kolumbien 82,5 Prozent der ungewollten Schwangerschaften Minderjähriger abgetrieben, 68,8 Prozent waren es in Peru. Bis heute wird ein großer Teil der Schwangerschaftsabbrüche von unqualifiziertem Personal vorgenommen, was die Risiken beträchtlich erhöht.

Mit der frühen Mutterschaft ist ein großes Mortalitätsrisiko für Neugeborene und Kleinkinder verbunden. Kinder von Minderjährigen sterben häufiger vor dem Erreichen des ersten Lebensjahres als Kinder älterer Mütter. Die Gefahr ist dann am größten, wenn ein schwangeres Mädchen in Armut lebt. Kinder jugendlicher Mütter werden häufig mit Untergewicht geboren (weniger als 2 500 Gramm), das sie im weiteren Wachstum kaum ausgleichen können.

Frühe Schwangerschaft erhöht das Armutsrisiko für die Mutter und ihre Familie auch im Blick auf die Zukunft. Alleinstehende junge Mütter haben nur eingeschränkte Möglichkeiten, zu arbeiten und Geld für den eigenen Unterhalt sowie den des Kindes zu verdienen. Häufig müssen junge Mütter samt ihren Kindern bei den Eltern Unterschlupf suchen. Lebt die Familie ohnedies in beengten und ärmlichen Verhältnissen, so werden das Familieneinkommen und die Überlebenschancen weiter belastet.

Unter den negativen Folgen verfrühter Mutterschaften in den armen Ländern leiden besonders die Frauen. Häufig streiten die Väter jegliche Verantwortung ab und nehmen ihre Pflichten nicht wahr. Über Situationen, Einstellungen und Meinungen männlicher Partner minderjähriger Mütter gibt es kaum wissenschaftliche Untersuchungen.

junge Mutter mit Kind

 

Kindermütter auf der Straße

Im Hinblick auf Mädchen der Straße treten sämtliche negativen Merkmale potenziert hervor, die verfrühte Schwangerschaften begünstigen. Kinder und Jugendliche, die auf der Straße leben, leiden permanent unter Armut, Mangel an Zuwendung und Möglichkeiten, sich zu behaupten und das eigene Leben selbst zu bestimmen. Die meisten Straßenkinder haben ihre Schullaufbahn abgebrochen oder sind nie zur Schule gegangen. An eine Berufsausbildung auf der Straße ist erst gar nicht zu denken. Familienangehörige, von denen Unterstützung erwartet werden könnte, sind weit oder gibt es nicht. Kontakte und Kommunikation von Kindern und Jugendlichen der Straße beschränken sich auf die Gruppe, mit denen sie zu überleben versuchen. (...)
 

 Interviews / Biographisches 

Marciela
Maricela, geboren in der kolumbianischen Stadt Apartadó im Departement Antioquia, ist 26 Jahre alt. Ihr Vater lebe noch, sagt sie, von ihrer Mutter weiß sie nichts. Ihr Bruder ist ein Jahr älter als sie. Sie hat vier Kinder, Juan Steban (Stiven), 17 Jahre – er wurde geboren, als sie gerade 13 war -, Kevin, 5 Jahre, Laura 4 Jahre.

Maricela ist schwarz und im siebten Monat schwanger. Sie hat ein hübsches Gesicht, ist kokett und humorvoll. Ihre Zähne leuchten wie Perlen im Kontrast zur ebenholzfarbenen Haut. Ihre krausen Löckchen sind mit vielen Perlen geschmückt und werden an der Stirn von einem himmelblauen Band gehalten. Maricelas Körper ist zierlich und muskulös. Mit dem schweren Bauch, der aus Bluse und Hose heraus zu quellen droht, hat sie Mühe, sich aufrecht zu halten.
Wir treffen Maricela in der Nähe der Metrostation El Prado im Zentrum Medellíns. Ein etwa zwanzigjähriger junger Mann spricht sie an:

Junge: „Hallo Negrita, schenk mir doch wenigstens einen Blick!"

Maricela: „Nun schau dir mal diesen Typ an! So sind sie alle: Stinkfreundlich. Und wenn sie einen eingewickelt und rumgekriegt haben, machen sie sich aus dem Staub."

Junge: „Mit mir kannst du so nicht reden. Ich hab selbst eine Tochter. Die ist schon acht Jahre alt. Ich besuche sie regelmäßig. Und nicht nur das. Als ich das Schmerzensgeld bekam nach dem Unfall (er fuchtelt mit seinen Krücken herum und zeigt auf die Knie mit kaum verheilten Narben), hab ich etwas davon der Mutter der Kleinen abgegeben und hab sie unterstützt."
Maricela: „Ich war mal schwanger von dem. Aber ich hab das Kind verloren, als sie mir die Verletzungen hier zugefügt haben (sie zieht für einen Augenblick die Bluse nach oben und zeigt ihre nackte Brust, über die tiefe Narben laufen). Im Nachhinein ist mir das ganz recht so. Wie wäre es, wenn ich noch ein Kind mehr hätte?! Kinder sind furchtbar, zumal wenn sie dauernd schreiben. Das macht mich ganz verrückt."
Junge: „Das sagt sie, die drei Kinder hat und jetzt noch ein viertes erwartet!"
Maricela: „Ich habe sehr früh damit angefangen. Hab nicht darüber nachgedacht, was passieren kann. Dass ich ein Kind bekommen könnte, kam mir nicht in den Sinn. Tja, wenn man 13 Jahre alt ist, da macht man alles wie im Spiel. Das war ein Abenteuer im Versteck, und dann bekam ich Stiven. Der ist jetzt 17. Dann kam Kevin, der heute fünf ist, und Laura, die wird vier Jahre alt."
Junge: „.Obwohl sie schon vier Kinder hat, passt sie nicht auf. Sie benutzt keine Verhütungsmittel. Sie isst, was sie gerade kriegen kann, und nimmt weiter Drogen. Und sie denkt nicht dran, zum Arzt zu gehen, obwohl sie genau weiß, dass das nichts kosten würde."

Maricela: „Das alles brauch ich nicht. Ich gehöre nicht zu denen, die krank werden. Ich muss nicht dauernd kotzen, und ich hab auch nicht die absonderlichen Lüste der Schwangeren. Wenn es einmal so weit ist, dann gehe ich zu meiner Großmutter."

Junge: „Ha, sie geht dorthin und lässt andere für ihre Kinder sorgen!"

Maricela: „Ich hab immer gesagt, dass ich keine von denen bin, die Kinder großziehen. Wenn sie anfangen, nach Milch zu verlangen, und wenn sie schreien, dann geht mir das gegen den Strich. Deshalb sorge ich vor und gehe rechtzeitig zu meiner Oma. Die lebt in Apartadó. Dort lasse ich die Kinder. Die hütet sie ein paar Tage lang. Dann mache ich mich wieder aus dem Staub und komme hierher zurück."

Junge: „Diese schwarze Schlampe, der ist alles egal, und sie kümmert sich um nichts."

Maricela: „Was hab ich denn? Der Vater von diesem Letzten (sie zeigt mit dem Finger auf ihren Bauch), der ist ein totaler Versager. Er raucht Basuco. Von dem ist nichts zu erwarten."
 
 
Isabel 
Isabel ist siebzehn Jahre alt, klein, hat fein geschnittene Gesichtszüge, honigfarbene Augen, die sie selten aufschlägt. Ihre Fingernägel sind lang, kunstvoll geformt und metalic-blau gefärbt. Die Ohrläppchen sind mehrfach durchstochen, daran baumeln lange Gehänge und ergänzen den Schmuck, den sie um den Hals und an den Handgelenken trägt. Ihr schmächtiger Körper ist der eines Kindes. Die Hände zittern beständig ein bisschen, zumal wenn sie für eine Zeitlang das Schnüffeln an der Kleberflasche unterbrochen hat.

Mit fünf Jahren musste Isabel ihre Familie verlassen. Unter ihrem Stiefvater, einem aufbrausenden und unberechenbaren Mann, hatte sie schwer zu leiden. Man brachte sie in eine Einrichtung, die von katholischen Ordensschwestern geführt wurde. Später lebte sie auf der Straße. Dort bekommt sie dann und wann Besuch von ihrer Mutter. Beide konsumieren Drogen. Isabel hat zwei Schwestern, sie leben in einer Einrichtung für gefährdete Mädchen. Ihr Bruder ist verschwunden, niemand weiß, ob er noch lebt.

Isabel hat einen Sohn, er heißt Miguel Ángel und ist drei Jahre alt. Die Großmutter kümmert sich um das Kind. Isabel ist wieder schwanger, im fünften Monat. Sie spricht gerne von Kindern, die ihr wie ein Gottesgeschenk erscheinen. Schwanger sein und ein Kind gebären - das ist für Isabel das Schönste auf der Welt. Sie hat nichts dagegen, dass ihre Kunden und die Jugendlichen, mit denen sie den Tag auf der Straße verbringt, ihren anschwellenden Bauch betrachten.

Isabel: Was mir Angst macht und geradezu Panik verursacht, wenn ich schwanger bin, ist die Nacht auf der Straße. Um ein Zimmer bezahlen zu können, muss ich arbeiten und Männer empfangen. Auch in diesem Zustand. Das ist die einzige Möglichkeit, wie ich zu ein paar Pesos kommen kann. Auf der Straße überleben - das ist nicht leicht. Die Leute, die Drogen nehmen und stehlen, können einen im Handumdrehen umbringen. Mein Bruder ist verschwunden. Wir haben keine Ahnung, wo er ist.

Frage: Wenn es so schlimm ist, warum gehst du nicht nach Hause, wenigstens so lange, bis das Kind geboren ist?

Isabel: So einfach ist das Leben nicht. Der Osten von Antioquia, wo meine Familie wohnt, ist sehr gefährlich. Dort bringen die Paracos (Paramilitärs) die Leute um. Überall herrscht Gewalt. Deshalb verlassen die Familien ihre Heimat und geben ihr Land auf, ihre Häuser und alles, was sie haben. So kommen sie nach Medellín. Sie meinen, dass es ihnen hier besser geht. Und übrhaupt: mein Stiefvater ist ein wilder Kerl. Und meine Mutter hilft mir zwar von Zeit zu Zeit, aber sie ist ebenfalls drogenabhängig.

Frage: Hier gibt es Einrichtungen für schwangere Mädchen und junge Mütter.

Isabel: Dahin würde ich gerne gehen. Aber wenn man 17 ist, ist das schwer. Als ich kleiner war, war das leichter. Mit fünf war ich in einer Einrichtung in Rionegro. Aber wenn man 14 ist, setzen sie einen vor die Tür. Meine beiden Schwestern sind immer noch dort. Manchmal besuche ich sie. Die Nonnen sind sehr freundlich. Mir hat es dort gefallen. Ich ging in die Schule. Wir lernten putzen, waschen und kochen, auch Kunsthandwerk, und wir haben das sehr genossen.

Frage: Jetzt bist du wieder schwanger - was denkst du darüber?

Isabel: Kinder sind ein Geschenk Gottes. Man muss sie versorgen und schützen. Sie sind wie kleine Puppen. Wenn man sie auf der Seite lässt, zerstört man sie und kann sie verlieren. Ich bete immer zum lieben Gott, dass er sie gesund und ohne Mängel zu uns schickt. Die größte Freude bei der Geburt ist der Moment, wenn man das Kind schreien hört und wenn sie es einem zeigen. Zu wissen, dass nichts an ihnen fehlt und sie gesund sind - das macht einen glücklich.


Maßnahmen 

Im Hinblick auf das Bemühen, den Teufelskreis von Armut, geringer Schulbildung und früher Mutterschaft zu durchbrechen, ist es am aussichtsreichsten, in Erziehung, Bildung und Aufklärung zu investieren. Eine bloße Verbesserung der Methoden der Empfängnisverhütung reicht nicht aus. Auf längere Sicht können Schwangerschaften Minderjähriger und frühe Geburten nur dadurch minimiert werden, dass die Armut bekämpft, die Bildung vertieft, die sexuelle Aufklärung ausgeweitet und die Lebensperspektiven der jungen Generationen verbessert werden. 
 
 
Literatur
  
- Carmen Elisa Flórez et al.: Fecunidad adolescente y desigualdad en Colombia y la Región de América Latina y el Caribe, Santiago de Chile 2006.

- Organismo regional andino de salud (ed.): El embarazo en adolescents en la subregión abdina, 2008.

- J. M. Guzmán et al. (ed.): Diagnóstico sobre salud sexual y reproductiva de adolescentes en América Latina y el Caribe, México 2001.

- Sigrid Weiser u.a. (Hg.): Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch bei minderjährigen Frauen. Teilstudie I. Soziale Situation, Umstände der Konzeption, Schwangerschaftsausgang. Ergebnisse einer Erhebung an 1801 schwangeren Frauen unter 18 Jahren, Hamburg und Frankfurt am Main, November 2006.

Links
- Mutterschaft Minderjähriger:
http://de.wikipedia.org/wiki/Mutterschaft_Minderj%C3%A4hrigerhttp://

www.eundc.de/pdf/40008.pdfhttp://

- Teenager-Schwangerschaften in Berlin und Brandenburg:
http://www.sexualaufklaerung.de/cgi-sub/fetch.php?id=529

http://www.isp-dortmund.de/downloadfiles/Doku_Vortrag_Teenagerschwangerschaften_-_M._Gnielka.pdf


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