Bedrohte Kindheiten
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Genitalbeschneidung bei Mädchen (Female Genital Mutilation, FGM) (Hartwig Weber, Januar 2011)
Inhalt
Vorkommen Arten der Beschneidung Traditioneller Hintergrund Länder mit Genitalverstümmelung Gesundheitsschäden Rechtslage in Deutschland Beschneidung von Jungen Links
Vorkommen
Jährlich werden die Genitalien von 3 Millionen Mädchen verstümmelt. Der Eingriff stellt eine schwere Körperverletzung dar. Betroffene können an den Folgen sterben, viele leiden ein Leben lang daran. Die Genitalverstümmelung wird zu unterschiedlichen Zeitpunkten vorgenommen, mitunter bereits im Säuglingsalter, in anderen Fällen irgendwann im Laufe der Kindheit (meist im Alter zwischen vier und zehn Jahren), vor der Heirat oder während der ersten Schwangerschaft.
Weltweit sollen etwa 140 Millionen (nach Schätzung der Weltgesundheitsorganisation, WHO, 85 bis 115 Millionen) Mädchen und Frauen Opfer derartiger Eingriffe geworden sein. Jährlich droht weiteren 2 Millionen Mädchen ein solcher Eingriff. Die genitale Verstümmelung von Frauen ist in der Tradition und Kultur der betreffenden Gesellschaften verwurzelt. Versuche, das Beschneidungsritual in Frage zu stellen, werden meist als ungerechtfertigte Einmischung von außen zurückgewiesen. In traditionellen Kulturen gilt die Genitalbeschneidung als Initiationsritus, der den Übergang vom Mädchenalter in die Phase der erwachsenen Frau markieren soll. Im Bereich dieser Tradition werden unbeschnittene Mädchen als nicht heiratsfähig angesehen. Wiederholte Verurteilungen durch Organisationen der Vereinten Nationen (Weltgesundheitsorganisation; zum Beispiel Aktionsplattform der Vierten Weltfrauenkonferenz, Peking 1995) blieben weithin wirkungslos.
Auf Grund der Tatsache, dass in Deutschland rund 60 000 Frauen leben, die aus Ländern stammen, in denen es eine Beschneidungstradition gibt, schätzt man, dass hier etwa 30 000 Mädchen und Frauen von der Verstümmelung betroffen oder bedroht sind. „Terre des Femmes" nimmt an, dass in Deutschland mindestens 4 000 bis 6 000 Mädchen gefährdet sind. In der Schweiz sollen nach UNICEF etwa 6 700 Frauen und Mädchen bereits Opfer geworden sein. In England und Wales leben angeblich etwa 66 000 beschnittene Migrantinnen, und 20 000 Mädchen unter 15 Jahren droht eine Genitalverstümmelung.
Trotz gesetzlicher Verbote werden die Beschneidungspraktiken offenbar bei einem Teil der Migrantinnen heimlich fortgeführt. In Frankreich, Italien, Spanien und der Schweiz ist es deshalb zu Strafprozessen gekommen. Die Eingriffe erfolgen wenn nicht im Aufnahmeland, so doch anlässlich von Reisen ins Herkunftsland.
Einige Industrieländer, in denen die Verstümmelung der weiblichen Geschlechtsorgane von Einwanderungsgruppen praktiziert wird, sowie in wenigen Entwicklungsländern gibt es Gesetze, die die Beschneidung verbieten. In Dänemark, Deutschland, Finnland, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz und Frankreich zum Beispiel gilt Genitalverstümmelung als Körperverletzung und Kindesmisshandlung und ist strafbar. Engagierte Frauengruppen in den betroffenen Ländern hoffen, durch Maßnahmen der Bildung und Aufklärung das meist religiös begründete Unwesen zurückdrängen zu können.
Arten der Beschneidung Die Verstümmelung der weiblichen Genitalien erfolgt auf unterschiedliche Weisen: Besonders verbreitet ist die Beschneidung der Klitoris, die teilweise oder vollständig entfernt wird. Bei der Exzision werden außer der Klitoris auch die inneren Schamlippen beschnitten. Klitorisbeschneidung und Exzision sind (mit 85 Prozent) die häufigsten Beschneidungsarten von Mädchen und Frauen.
Infibulation ist die extremste Form der Verstümmelung weiblicher Genitalien. Sie richtet die größten gesundheitlichen Schäden an. Bei der „Pharaonischen Beschneidung" werden die Klitoris, die inneren Schamlippen sowie die inneren Seiten der äußeren Schamlippen vollständig entfernt. Beide Seiten der Vulva werden sodann mit Dornen aneinander befestigt oder mit Seide oder Katgut zusammengenäht, so dass die übrig gebliebene Haut der äußeren Schamlippen eine Brücke aus Narbengewebe über der Vagina bildet. Ein vollständiges Zusammenwachsen wird durch die Einführung eines Fremdkörpers verhindert, so dass eine kleine Öffnung verbleibt, durch die Urin und Menstruationsblut abfließen können.
Traditioneller Hintergrund Es ist nicht genau bekannt, woher die Tradition der Beschneidung kommt. Frühe Hinweise deuten auf das Alte Ägypten hin. Auf einem Papyrus aus dem Jahr 163 v. Chr. wird die Beschneidung von Mädchen erwähnt. Auch wurden weibliche Mumien gefunden, die Anzeichen einer Beschneidung aufweisen. Nach dem griechischen Geschichtsschreiber Strabon wurde in Ägypten die Beschneidung an beiden Geschlechtern durchgeführt.
Das Ritual wird ausschließlich von Frauen, vor allem von den (beschnittenen) Müttern und Großmüttern der betroffenen Mädchen sowie von Hebammen, Heilerinnen und traditionellen Beschneiderinnen organisiert und praktiziert. Die wohlhabenden Bevölkerungsschichten der Städte lassen heute die Prozedur von Ärzten oder ausgebildeten Krankenschwestern in Kliniken durchführen.
Den betroffenen Mädchen und Frauen wird versichert, dass sie erst aufgrund der Beschneidung von ihrer Gemeinschaft und von ihrem zukünftigen Ehemann akzeptiert werden können. Dabei verweist man auf Familienehre, hygienische Gründe, ästhetische Gesichtspunkte, Schutz der Jungfräulichkeit, Verhinderung von Promiskuität, Steigerung der sexuellen Lust des Ehemannes, Erhöhung der Fruchtbarkeit, Steigerung der Heiratschancen. Die Beschneidung soll den Brautpreis und damit die finanzielle Situation der Herkunftsfamilie des betroffenen Mädchens verbessern.
Die religiöse Begründung schließt die Drohung mit negativen Konsequenzen für die Frau und ihren Geschlechtspartner ein, falls die Beschneidung unterbleibt. Die Klitoris wird dabei als bedrohliches Wesen vorgestellt, das den Ehemann oder das erwartete Kind töten kann, wenn es beim Geschlechtsverkehr oder während der Geburt berührt wird. Mythologische Drohgeschichten erzählen, dass die versäumte Beschneidung der Genitalien die Klitoris immerzu weiter wachsen lässt bis zur Größe eines Penis.
Länder, in denen Genitalverstümmelung praktiziert wird Die meisten der etwa 100 Millionen beschnittenen Mädchen und Frauen leben in Ländern Afrikas und Asiens. Ihre Zahl nimmt angeblich auch unter ausländischen Bevölkerungsgruppen in Europa sowie in Kanada, Australien und in den USA zu. In manchen afrikanischen Regionen sind über 90 Prozent der Mädchen und Frauen im Alter über 14 Jahren beschnitten. Die Beschneidungen werden von Moslems, aber auch von Christen und Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften praktiziert.
Die Infibulation wird in Somalia, Dschibuti, im nördlichen Sudan, in einigen Teilen Äthiopiens, in Ägypten und Mali durchgeführt. Exzision und Klitorisbeschneidung nimmt man in Gambia, im nördlichen Ghana, in Nigeria, Liberia, im Senegal, in Sierra Leone, Guinea, Guinea-Bissau, Burkina Faso, in Teilen des Benin, an der Elfenbeinküste, in Teilen von Tansania, in Togo, Uganda, Kenia, im Tschad, in der Zentralafrikanischen Republik, in Kamerun und in Mauretanien vor. Möglicherweise gibt es auch Beschneidungen in Niger und Zaire.
Außerhalb von Afrika soll es Beschneidungen von Mädchen und Frauen in Indonesien, Malaysia und im Jemen geben. Angeblich praktizieren Minderheiten- und Auswanderergruppen aus diesen Ländern, die sich in anderen Teilen der Welt angesiedelt haben, ebenfalls die eine oder andere Form der Verstümmelung der weiblichen Geschlechtsorgane.
Gesundheitsschäden Die Beschneidung von Mädchen und Frauen kann zu schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen physischer und psychischer Art führen und Menstruationsschmerzen, Blutungen, Schocks, Infektionen, sexuelle Störungen sowie Schwierigkeiten bei Schwangerschaft und Geburt verursachen. Über Eingriffe mit tödlichen Folgen wird meist Stillschweigen bewahrt. Das Trauma, das Mädchen und Frauen erfahren, kann Angstzustände, Depressionen, chronischer Reizbarkeit, Frigidität und Psychosen nach sich ziehen.
Rechtslage in Deutschland Die genitale Beschneidung von Mädchen und Frauen ist nach den §§ 223 ff. des Strafgesetzbuches (StGB) verboten. Wer eine Verstümmelung weiblicher Genitalien vornimmt, an einer solchen teilnimmt, zu ihr anstiftet oder sie auch nur duldet, wird wegen Körperverletzung (§ 223 StGB) mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedroht. Hat die Genitalverstümmelung den Verlust der Empfängnisfähigkeit zur Folge, kann die Tat unter den Vorraussetzungen des § 226 Abs. 2 StGB als schwere Körperverletzung mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünfzehn Jahren geahndet werden. Wenn Eltern die Beschneidung ihrer minderjährigen Tochter veranlassen, dulden oder gar selbst durchführen, so kann Strafbarkeit wegen versuchter oder vollendeter Misshandlung Schutzbefohlener (§ 225 StGB) in Betracht gezogen werden. Hierfür wird eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren angedroht. Wird die Minderjährige durch den Eingriff in Lebensgefahr gebracht, droht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünfzehn Jahren.
Eltern, die ihre Tochter aus der Bundesrepublik Deutschland ins Ausland bringen und dort eine genitale Beschneidung an dem Mädchen durchführen lassen, machen sich mit dieser Vorbereitungshandlung wegen mittäterischer Begehung eines Körperverletzungsdelikts strafbar. An dieser Rechtslage ändert auch die Einwilligung der Frau oder des betroffenen Mädchens in die genitale Verstümmlung nichts. Die Berufung darauf, dass religiöse Anschauungen oder Traditionen den Eingriff gebieten oder ihn rechtfertigen, steht der Bestrafung keineswegs entgegen.
Beschneidung von Jungen Während die Beschneidung der Genitalien von Mädchen und Frauen aufgrund des Rechts auf körperliche Unversehrtheit insbesondere in westlichen Ländern mit Strafe bedroht ist, werden die entsprechenden Maßstäbe nicht auf die Beschneidung von männlichen Kindern angewandt, die an etwa 25 Prozent der männlichen Bevölkerung der Welt, bei Juden wenige Tage nach der Geburt und bei Muslimen bis zum 13. Lebensjahr, vorgenommen wird. Obwohl auch die männliche Beschneidung den Straftatbestand der Körperverletzung erfüllt, bleibt der Eingriff in den meisten westlichen Ländern (außer Schweden) erlaubt. Bei der männlichen Zirkumzision werden die gleichen religiösen und kulturellen Motive, die zur Begründung der Genitalverstümmelung der Mädchen negiert werden, von der Gesellschaft als Rechtfertigung akzeptiert. Tatsächlich gibt es keinen logischen Grund, die Beschneidung bei Mädchen und Frauen in religiöser und kultureller Hinsicht anders zu werten als bei Jungen.
Links und Literatur
Genitale Verstümmelung bei Mädchen und Frauen: http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/Genitale_20Verst_C3_BCmmelung_20bei_20M_C3_A4dchen_20und_20Frauen,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf
Beschneidung weiblicher Genitalien: http://de.wikipedia.org/wiki/Beschneidung_weiblicher_Genitalien
Weibliche Genitalverstümmelung: http://www.stopfgm.net/dox/RI_Formen%20und%20Folgen%20der%20weiblichen%20Genitalverst%FCmmelung.pdf
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