Amerika | Afrika | Asien | Europa | Australien | Bedrohte Kindheiten | Publikationen | Projekte | Medien

Suche:   


Afrika



Verzauberte Kinder
(Hartwig Weber und Maren Basfeld, Januar 2011)


Krieg gegen Kinder
Die Pastoren und  Pastorinnen der zahllosen evangelikalen Kirchen, die in Dörfern und Städten wie Pilze aus dem Boden sprießen, schüren die Panik vor Hexen und Dämonen und bieten sich gleichzeitig als Hilfe zur Bewältigung des Elends an, das sie selbst verursacht haben. Je mehr böse Geister sie aufspüren, je mehr Exorzismen sie zelebrieren, umso erfolgreicher bestehen sie in der Konkurrenz mit den anderen Glaubensgemeinschaften. Denn wer den Teufel besiegt, ist Gott nahe. Unheilbare Hexenkinder müssen beseitigt, erschlagen, ausgesetzt werden.

Der Kinderhexenwahn ist in Nigeria um das Jahr 2000 ausgebrochen. Angeblich erkennt man ein verhextes Kind daran, dass es von früh an frech ist, lügt, stiehlt und sich den Erwachsenen widersetzt. Im Fischerhafen der nigerianischen Stadt Ibaka sollen sich Hexenkinder in Rudeln zusammengerottet haben, ausgesetzte, kranke und in panischer Angst vor Killertrupps vegetierende Jungen und Mädchen, die sich von rohen Fischabfällen ernähren.

Der sechsjährige Uwe Okwang hat Glück im Unglück. Im letzten Augenblick wird er von einem Sozialarbeiter der Hilfsorganisation „Child Right and Rehabilitation Network (CRARN)" gerettet. Seit 2003 bietet die Einrichtung stigmatisierten Kindern Schutz. Sie besteht aus Häusern und Klassenzimmern. Die Kinder haben ähnliche Geschichten wie Uwe zu erzählen. „Die Kleinste ist zwei Jahre alt, der älteste 15. Die Gesichter vieler sind von Narben zerstört, sie zeichnen Spuren von Messern. Sie wurden von Säure verätzt, Brandflecken bedecken ihre Körper. Einigen fehlen Fingerglieder, die die Eltern ihnen abschnitten, damit sie bekennen. Einem dreizehnjährigen Mädchen hat sein Vater einen Nagel in den Schädel getrieben", berichtet Wolfgang Bauer (ebenda S. 27). Derzeit bevölkern 225 Kinder das Zentrum. In ihren Heimatdörfern und Familien gelten die Mädchen und Jungen bis heute als Hexen und Hexer.  
 

„bana bandoki"
In afrikanischen Ländern südlich der Sahara werden immer mehr Kinder der Hexerei bezichtigt, verfolgt, geschlagen und getötet. Die meisten „bana bandoki" („Hexenkinder") sind von ihren Familien verstoßen worden und auf der Straße gelandet. Sie gelten als zaubermächtig. Angeblich benutzen sie ihre magischen Fähigkeiten dazu, um andere Menschen zu schädigen. Viele Erwachsene sehen in ihnen die Verkörperung des Bösen. Allein in Kinshasa, der kongolesischen Hauptstadt, soll es Zehntausende verhexter Kinder geben. Die Demokratische Republik Kongo mit 65 Millionen Einwohnern, die sich zu 70 Prozent zum Christentum bekennen, ist der drittgrößte Staat Afrikas und fast sieben Mal so groß wie Deutschland. Dort sind die betroffenen Kinder oft erst neun oder zehn Jahre alt. Weil ihre Eltern befürchten, von ihren eigenen Sprösslingen durch Zauberei ins Unglück gestürzt zu werden, duldet man sie nicht mehr in der Nähe, sie müssen Haus, Familie und Dorf verlassen. In vielen Städten, aber auch auf dem Land stößt man auf Tausende verhexter Straßenkinder.


Magie und Hexerei sind in den meisten Kulturen der Welt verbreitet und galten zu allen Zeiten als probate Mittel, um Rätselhaftes zu erklären, vor allem aber um die Schuld am alltäglichen Elend, an plötzlich hereinbrechenden Katastrophen oder an Krankheit und Tod einem Verursacher aufbürden zu können. Das entlastet und relativiert den Schock der Erkenntnis, einem Schicksal ausgeliefert zu sein, das sich keinen Deut um das individuelle Ergehen eines Menschen kümmert. In ihrer Schwäche und Schutzlosigkeit sind Kinder geeignete Opfer von Projektionen, Denunziationen und Verfolgungen. Sie müssen die Rolle des Sündenbocks spielen.


Impulsgeber und Nutznießer des Hexenkinderwahns in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara sind vor allem die aus dem Boden schießenden evangelikalen Kirchen. Sie pflegen den Glauben an böse Geister und dämonische Besessenheit und halten die Mittel – insbesondere Beschwörungen, Segnungen, exorzistische Rituale - bereit, um Abhilfe zu schaffen. Fast alle Strömungen des afrikanischen Christentums sind fundamentalistisch, das heißt, dass sie von der Realität des Teufels, der Dämonen und Geister überzeugt sind. In Nigeria sind es vor allem Geistliche der fundamentalistischen Glaubensgemeinschaften, die Kinder als Hexen bezichtigen. Wie zur Zeit der frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen in Mitteleuropa, so halten sich die afrikanischen Theologen heute noch an 3. Mose 20,6: „Die Zauberinnen sollst du nicht leben lassen." Selbst von katholischen Geistlichen hört man, dass sie ihren Pfarrkindern geweihte Kerzen und Pulver verkaufen, mit denen sie die sie bedrohenden Hexen und Dämonen vertreiben sollen.


Zehntausende Minderjähriger sind von den Folgen der Bezichtigungen betroffen. Sie werden geschlagen, angekettet, verbrannt, mit Säure übergossen und nicht selten getötet. Dämonologie, Hexerei und Exorzismus wirken als probate Mittel bei der Selbstbehauptung, Abgrenzung und inneren Festigung von Glaubensgemeinschaften. Die Überzeugung, dass es Hexen gibt, ist ein fester Bestandteil des orthodoxen afrikanischen Christentums. Besonders jene christlichen Kirchen, Gemeinschaften und Gemeinden, die der Pfingstbewegung zugehören oder ihrem Geist nahestehen, haben sich auf diesem Gebiet einen Namen gemacht: „Mount Zion Lighthouse / Leuchtturm Berg Zion", „Kreuzzug der geborenen Herrscher", „Apostoloische Kirche Nigerias" „Gemeinschaft der Sieger" und „Botschaft  Christi".


 

Hexerei und okkulte Gewalt in Afrika
Zwischen 1994 und 1998 sollen allein in Tansania 5000 Menschen den epidemisch aufflackernden und um sich greifenden Hexenjagden zum Opfer gefallen sein (vgl. DIE ZEIT, 04.01.2001, S. 28). Der Glaube an Hexerei in Afrika ist alt und, radikalisiert durch die dualistische Zuspitzung des Christentums, heute noch überall verbreitet. Indessen wird das Phänomen der verhexten Kinder, das im 17. und 18. Jahrhundert in fast allen Ländern Mitteleuropas und in Nordamerrika virulent war, erst seit etwa 1990 beobachtet. In dieser Zeit ist in Afrika die Bedeutung von Religiosität im Allgemeinen und Okkultismus wie Zauberei im Besonderen beträchtlich gewachsen. In manchen Teilen des Kontinents ist der Hexenglaube heute aktueller denn je. Magie und Zauberei sind von erheblichem Einfluss auf die Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen der betroffenen Völker. In einigen Ländern – wie zum Beispiel Kamerun oder Kenia – drohen Menschen, die aufgrund der Expertisen von Hexendoktoren der Hexerei angeklagt wurden, Gefängnisstrafen bis zu zehn Jahren. Im Norden Nigerias, wo die Scharia eingeführt wurde, steht auf Hexerei die Todesstrafe.


Im letzten Jahrhundert kam es im subsaharischen Afrika immer wieder zu Anti-Hexerei-Bewegungen (u.a. in Kenia, Sambia, Rhodesien, Malawi, Tansania, Kongo). Gegen Ende des 20. Jahrhunderts nahmen die Verfolgungen an Schärfe zu. Wegen vermeintlicher Hexerei sollen in wenigen Jahren Zehntausende Menschen getötet worden sein. Die Übergriffe und Morde, bei denen die Opfer oft aufs grausamste zugerichtet wurden, werden von großen Teilen der Bevölkerung getragen und gefördert. Wenn einer vermeintlichen Hexe ein mit Benzin gefüllter Autoreifen als Brandbeschleuniger um den Hals gelegt und angezündet wird, gilt dieser Akt als Reinigung, der die Gemeinschaft vom Bösen befreit.


Viele Afrikaner machen Hexen und Zauberer für ihr persönliches Elend verantwortlich. Die afrikanischen Hexenverfolgungen hängen mit dem ökonomischen Zusammenbruch und der herrschenden Armut zusammen. So erweist sich der subkulturelle Okkultismus Afrikas als ein Globalisierungs- und Modernisierungsphänomen. Mit der Auflösung des staatlichen Gewaltmonopols lebt religiöse Gewalt auf. Die Handhabung okkulter Kräfte stellt für die Menschen im Elend ein letztes verzweifeltes Aufbäumen dar. Die Grausamkeiten, die Soldaten und Rebellen in den Kriegen vor der Jahrhundertwende an der Bevölkerung verübten, verursachten unvergessliche Traumata. Ruandische Soldaten sollen schwangeren Frauen die Bäuche aufgeschlitzt, Kinder an die Wand geschlagen, Frauen vergewaltigt und das Fleisch Getöteter gegessen haben. Mit der Zahl der Aids-Toten nahmen die Hexereiverdächtigungen sprunghaft zu. Kurz vor der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert sollen allein in der Northern Province von Südafrika Hunderte von vermeintlichen Hexen und Hexern erschlagen oder lebendig verbrannt worden sein (vgl. Adam Ashforth: Witchcraft, Violence and Democracy in South Africa, Chicago 2005).


Okkulte Aggression ermöglicht es, soziale Spannungen zu entladen. Besonders grausam sind die sogenannten Muti-Morde. Angeblich ist ihre Zahl im Steigen begriffen. Sie werden nicht nur in ländlichen Gebieten, sondern auch in den Städten verübt. Oft sind ihre Opfer Kinder. Den Getöteten werden Hände, Genitalien und Ohren abgeschnitten. Die abgetrennten Körperteile gelten als potenzhaltig, die ihnen innewohnende Kraft kann auf andere Menschen übertragen werden. Traditionelle Heiler (Sangomas) bezahlen gut, wenn man ihnen einen männlichen Kopf, die Zunge, die Augen oder die Genitalien eines Opfers besorgt. Mit Hilfe abgetrennter Körperteile kann ein Heiler seinen Klienten Schutz vor Angreifern, Machtzuwachs und Einfluss verschaffen. Den einzelnen Körperteilen werden unterschiedliche Wirkungen zugeschrieben. Eine weibliche Brust verursacht Mutterglück; Genitalien beheben Potenzprobleme; ein Kehlkopf kann einen gefährlichen Zeugen zum Schweigen bringen; Fettgewebe, Urin oder Sperma fördern das Glück; eine Zunge ebnet den Weg zu einer Frau, und herausgeschnittene Augen ermöglichen einen Blick in die Zukunft.


Religion war und ist in Afrika ein wesentlicher Bestandteil des kulturellen und sozialen Lebens. Der Glaube an spirituelle okkulte Kräfte zieht immer mehr Aufmerksamkeit auf sich. Pfingstkirchen, christliche Heils- und Freikirchen, charismatische Erweckungs- und Erneuerungsbewegungen, aber auch islamische und islamistische Glaubensbewegungen sind auf dem Vormarsch. In den Gemeinden pfingstlerischen und charismatischen Ursprungs werden Glossolalie, Exorzismen und Heilungsriten praktiziert. Im Einflussbereich der Pfingstkirchen gilt Hexerei als Werk des Teufels. Die Kirche verspricht den Sieg über die Dämonen- und Geisterwelt. Am Ende können auch Hexen erlöst werden, wenn sie Reue zeigen. Mit ihrem Wunder- und Dämonenglauben stehen die afrikanischen Pfingstgemeinden dem Urchristentum gewiss näher als moderne Europäer mit ihrer rationalisierten Weltsicht.


Neben den Pastoren bieten unzählige Heiler Hilfe an. Priester und Wahrsager werden konsultiert, wenn die Gemeinschaft oder ein Einzelner Schaden zu nehmen droht oder unter einer Krankheit leidet. Mit Hilfe von Amuletten, Pulvern, Federn sowie unter Verwendung von Beschwörungsformeln oder durch Einritzungen in den Körper verschaffen sie ihren Klienten mystische Kraft. Dies geschieht entweder direkt und unmittelbar aufgrund der Zauberkraft des magischen Aktes und des Heilers oder aber durch Einschaltung von Gott, den Ahnen oder hilfreichen Geistern.

 
 

Erklärungsmuster für Hexenglauben und Okkultismus

1.  Modernisierungsschock.
Die Verbreitung des esprit sorcier (Hexenglaubens) in Afrika wird häufig als Reaktion auf die nicht gelingende Modernisierung des Kontinents interpretiert. Pandemien wie Aids oder Tuberkulose, Kriege, Hungersnöte, wirtschaftliche Zusammenbrüche, Korruption, Diktaturen und bittere materielle Armut finden in Fantasien von Hexen und Geistern ihre Begründung und erscheinen auf einmal erklärbar. Wieso gelingt es der westlichen Welt, den Menschen ein geregeltes Leben in Wohlstand zu ermöglichen, warum nicht Afrika? Um den unfasslichen wirtschaftlichen Unterschied mit seinen negativen Folgen zu erklären, greift man auf die Hexe als Sündenbock zurück. In einer „okkulten Ökonomie" (Comaroff) werden Armut mit Verhexung, Reichtum mit magischen Maßnahmen und Hexerei begründet, wobei selbst Ritualmorde eine Rolle spielen können.

 
2. Mangelnde Bildung und Aufklärung? Hexerei und Okkultismus sind Phänomene „vorwissenschaftlicher Gesellschaften" (vgl. DIE ZEIT, 2005). Menschen, die in bitterer Armut leben, haben selten Zugang zu Bildung. Materielle Not erscheint als „Unheil", dessen Gründe in persönlicher Schuld und Sünde wurzeln, sie kann auch durch Teufel und Hexen verursacht sein. Es fehlt an Aufklärung und an der Bereitschaft, sich sachlich informieren zu lassen. Je niedriger der Bildungsgrad, umso empfänglicher sind die Menschen für religiöse Erklärungen ihres persönlichen Geschicks. In Deutschland zeigt sich dieses Phänomen z.B. im zunehmenden Zuspruch, den der Rechtsradikalismus unter Jugendlichen aus bildungsfernen Schichten erfährt. Sie neigen dazu, Nichtdeutsche oder Angehörige fremder Ethnien für ihre Misserfolge verantwortlich zu machen. Im Kongo grassiert die irrationale Angst vor den sog. „kamoke sukali" (Zuckerpüppchen), die sich in wilde, Männer verschlingende Monster verwandeln können. Jedes Mädchen, zumal wenn es hübsch ist, kann der Hexerei verdächtigt werden. Ein Junge, der in den Diamantenminen arbeitet und mehr Geld nach Hause bringt als sein Vater, kann, da er die Autorität des Familienoberhaupts in Frage stellt und dessen Position gefährdet, ausgegrenzt und vertrieben werden. Fast alle Straßenkinder in Zentralafrika laufen Gefahr, der Hexerei bezichtigt zu werden.
 
3. Heilerinnen und Medizinmänner - uralte Traditionen. Der Glaube an eine geheimnisvolle Potenz von Heilern ist in der afrikanischen Weltanschauung tief verwurzelt. Riten und Bräuche unterscheiden sich je nach Region stark voneinander. Südlich der Sahara suchen die Menschen bis heute Heiler auf, wenn die Mittel und Maßnahmen der westlichen Schulmedizin versagen. Erfahrene und seriöse Heilerinnen tradieren ein uraltes naturmedizinisches Wissen. Ihre Heilkunde wird zunehmend auch von der westlichen Medizin ernst genommen. Die christlichen Kirchen stehen der traditionellen Heilkunst ablehnend gegenüber. Deshalb verteufeln sie die Heiler und denunzieren ihre Praktiken als schwarze Magie. So schüren sie den aggressiven Hexenglauben, der bereits in verschiedenen afrikanischen Regionen zu Massenverfolgungen geführt hat. Diesen sind vor allem Heilerinnen zum Opfer gefallen, die man als Zauberinnen denunziert hat. Ähnliche Phänomene sind auch in Lateinamerika und der Karibik bekannt.
 
4. Trost des Ahnenkults. Die in Afrika verbreitete Überzeugung von der Präsenz der Verstorbenen innerhalb der Gemeinschaft der Lebenden wird von den Angehörigen der fundamentalistischen christlichen Kirchen als Ausdruck des verabscheuungswürdigen Hexenglaubens interpretiert. Tatsächlich erfahren Afrikaner durch die Nähe der Toten Schutz und Weisung im Leben.
 
Mehr als in anderen Kulturen werden in Afrika Alter und die Weisheit respektiert und geehrt. Die Lebenserfahrung berechtigt Alte, die Jungen zu beraten und sie dadurch vor Schicksalsschlägen zu bewahren. Diese Hilfe reicht über den Tod der Alten hinaus. Deshalb sind das Gedenken der Ahnen und ihre Anbetung für die Überlebenden zumal in Krisenzeiten von fundamentaler Bedeutung. Die Ahnen werden bei schwierigen Entscheidungen angerufen, und sie stehen einem auch in der schweren Stunde des Todes zur Seite. In Zeiten von Hunger und in Dürreperioden vermitteln sie der Gemeinschaft die Zuversicht, nicht verlassen, sondern von einer starken Tradition gehalten zu sein.
 
Die Kommunikation mit den Ahnen erfolgt über Heilerinnen und Medizinmänner als Medien. Sie sind zu Lebzeiten der weisen Alten von diesen unterrichtet und initiiert worden. Nun schlagen sie als Mittler die Brücke zwischen dem Diesseits und dem Reich der Toten. Leben und Tod, Realität und Imagination gehen ineinander über. Die überirdischen Kräfte und die magische Potenz der Heiler sind Werkzeuge der Vermittlung mit der anderen Welt, in der die Ahnen fortleben. Der Ahnenkult vermittelt ein positives Lebensgefühl und hilft bei der Lebensbewältigung und -gestaltung der Menschen in Afrika. Die Grenze zwischen Heilerin und Hexe ist dünn. Für die Unterscheidung ist lediglich der Blickwinkel des Betrachters und in dessen Beurteilung des Phänomens maßgeblich. Deshalb kann es leicht geschehen, dass Heilerinnen und Medizinmännern plötzlich der schwarzen Magie beschuldigt werden. Dies geschieht zumal dann, wenn ihre rituellen Maßnahmen und Segnungen erfolglos bleiben. Dann wird der Helfer gegen das Böse im Handumdrehen zum personifiziert Bösen.
 
5. Sangoma: schwarze Magie und Verschwörung. In Südafrika treten heute Hunderte von „Sangoma" auf. Sie schüren die Angst vor Hexen insbesondere dadurch, dass sie die Aidspandemie als Folge einer Verschwörung beschreiben. Mittels ihrer Verschwörungstheorien versuchen sie, ihre Kunden an sich zu binden. Ihre Botschaften und okkulten Praktiken führen zu grauenvollen Ritualmoden an Tausenden Unschuldiger. Darunter fallen viele Minderjährige und vor allem Straßenkinder. Obgleich Aids medizinisch nicht heilbar ist, wird Abhilfe durch magische Mittel sowie durch die Anrufung jenseitiger Mächte in Aussicht gestellt.
 
6. Endzeitstimmung. Je tiefer, andauernder und auswegloser eine Krise ist, umso rascher neigen Menschen zu apokalyptischen Vorstellungen. Das Ende ist nah, die Welt steht vor dem Untergang. Die eigene triste Lebensrealität ist der Beweis dafür. In dieser Situation schafft die Vorstellung, dass Hexen und Zauberer mit ihren schwarzmagischen Maßnahmen und Manipulationen diese Misere verursacht hätten, eine gewisse Erleichterung. Der christliche Glaube stärkt diese Sicht der Dinge. Er nimmt die afrikanischen Hexereivorstellungen auf und verbindet sie mit dualistischen Elementen der christlichen Tradition. Aus der Macht der Hexen und dem äußeren Elend kann nur die Gnade Gottes retten. Diese Erlösungsvorstellung ist auch darauf angewiesen, dass man Schuldige benennen kann. Schutzlose Frauen und Minderjährige eignen sich besonders dafür, als Sündenböcke geopfert zu werden.
 
Aus der Warte der Denunzianten ist Hexerei die moralische Kategorie der Exklusion. Der Glaube an Hexen ist gleichermaßen Erklärungsmuster wie Lösungsstrategie für Probleme, die aus dem Zerfall traditioneller politischer und sozialer Gefüge, Ordnungen und Autoritäten resultieren. Magie und Zauberei spiegeln deshalb reale soziale Beziehungen und gesellschaftliche Veränderungen wider, und sie prägen sie nachdrücklich. Im afrikanischen Kontext dienen christliche Gebete und kirchliche Rituale in erster Linie dazu, sich selbst und andere vor dämonischen Kräften zu schützen. Soziale Konflikte können sichtbar, verbalisiert, verschärft und ausgetragen werden, wenn sich Angehörige rivalisierender Gruppen – Milizen, Kirchen und Kulte – gegenseitig okkulter Gewalt bezichtigen. 

Die vorgebrachten Hexereianklagen richten sich vornehmlich gegen die Mächtigen in der eigenen Gemeinschaft, gegen Unterprivilegierte und gegen Fremde außerhalb des Nahbereichs. Viele Politiker konsultieren spirituelle Experten, um ihre Karrieren zu sichern. Minister und Präsidenten umgeben sich mit Zauberern und Wahrsagern. Immer wieder ist zu hören, dass bei rituellen Morden Körperteile der Opfer zu zauberkräftigen Arzneien und potenzhaltiger Medizin verarbeitet werden.
 
 
Literatur 

Burghart Schmidt / Rolf Schulte (Hg.): Witchcraft in Modern Africa. Hexenglauben im modernen Afrika, Hamburg 2007.
Adam Ashforth: Witchcraft, Violence and Democracy in South Africa, Chicago 2005
Bartholomäus Grill: Die Macht der Hexen, in: Die ZEIT, Nr. 38, vom 15.09.2005
Wolfgang Bauer / Toby Binder: Verhextes Land, in: Nido 3 - 2011, S. 18ff.

 

Letzte Aktualisierung dieser Seite: 07.07.2015 (s. admin)Online Kompetenz  |  Sitemap  |    |  
G l o s s a r
Bitte klicken Sie auf die gelisteten Begriffe, um deren Erklärung zu sehen bzw. auszublenden!
  Globalisierung