Amerika
- Straßenkinder in Medellín
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Straßenkinder in Medellín (Text und Fotos: Hartwig Weber, Juni 2009)
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Inhaltsverzeichnis Medellín, Zahlen und Fakten Straßenkinder in Medellín Links und Literatur
In Medellín, der "Stadt des ewigen Frühlings" und drittgrößten Metropole Kolumbiens, soll es über 6.000 obdachlose und über 9.000 auf der Straße arbeitende Kinder und Jugendliche geben. Die Hauptstadt Antioquias ist in besonderem Maße von den seit dem Ende des 20. Jahrhunderts in Kolumbien zunehmenden gewaltsamen Vertreibungen und vom Problem der Integration von Flüchtlingsströmen betroffen, die sich in den Elendsvierteln anzusiedeln versuchen.
Medellín, Zahlen und Fakten Medellín, in einer Höhe von etwa 1500 Metern in einer Talsenke der Kordilleren gelegen, ist mit 2,2 Millionen Einwohnern (3,2 Millionen, wenn man die Orte der unmittelbaren Umgebung von Caldas im Süden bis Barbosa im Norden hinzu- und die gesamte Áerea Metropolitana del Valle de Aburrá in den Blick nimmt), 248 Vierteln (barrios), 16 Kommunen (comunas) und fünf Bezirken (corregimientos) nach Bogotá und Cali die drittgrößte Stadt und zweitgrößte Metropolregion Kolumbiens. Vom 24. August bis 6. September 1968 tagte in Medellín die 2. Generalversammlung des Lateinamerikanischen Episkopats, während der die katholische Kirche ihre wegweisende "Option für die Armen" formulierte. Größe und Bedeutung verdankt Medellín hauptsächlich der Produktion von Kaffee und der Industrialisierung seit dem 19. Jahrhundert. Weltweit berüchtigt wurde die Stadt in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts durch die Drogenmafia des Medellín-Kartells mit Pablo Escobar an der Spitze, die die Bevölkerung mit Gewalt und Terror überzog.
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Blick auf Medellín, 2008
Medellín ist ein historisches Produkt von Landflucht und Verstädterung, die bis heute andauern. Fast alle Einwohner sind entweder Flüchtlinge oder indirekt von der Migration betroffen. Weite Gebiete der Stadt leiden unter der Armut und Arbeitslosigkeit ihrer Bewohner. Mehr als 50 Prozent der Bevölkerung sind arm, etwa 20 Prozent leben in absolutem Elend. Viele Stadtteile leiden unter mangelnder Infrastruktur. Es fehlt an Wohnraum. Gewalt ist überall präsent oder könnte plötzlich ausbrechen. Mangel beeinträchtigt das Leben von über 70 Prozent der Stadtbewohner. Hauptsächlich in den marginalisierten Vierteln ("barrios populares"), wo es an fast allem fehlt, ist das Bildungsniveau besonders niedrig. Viele Kinder sind unterernährt und leiden unter epidemischen Krankheiten. Insbesondere in den Slums gibt es nach wie vor die illegalen bewaffneten Gruppen von Paramilitärs, Milicianos und Guerilla, die Unsicherheit und Angst verbreiten.
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Medellín, Botero-Platz, 2008
Straßenkinder in Medellín Nach einer Untersuchung aus dem Jahr 2006 soll es in Medellín etwa 6.430 Straßenkinder im engeren ("niños de la calle") und 9.600 im weiteren Sinne ("niños en la calle") geben. 70 Prozent von ihnen sind Jungen, 30 Prozent Mädchen. Angeblich gehen 90 Prozent der Straßenmädchen der Prostitution nach (siehe Alcaldía de Medellín (ed.): Centro Adentro. Medellín, enero 2006, edición No. 2). An die Stelle der bettelnden und stehlenden "gamines" des 20. Jahrhunderts sind heute meist Flüchtlingskinder getreten. Seit Jahren nimmt die Zahl der Straßenbewohner beständig zu. Ihr Dasein geht häufig darauf zurück, dass ihre Familien vor den blutigen Massakern, Entführungen und Übergriffen der illegalen Gruppen vom Land flohen.
Die hauptsächlichen Gründe, die Kinder und Jugendliche, nachdem sie in der Stadt angekommen sind, zum Verlassen ihrer Familien bewegen und sie auf die Straße treiben, sind neben Armut und innerfamiliärer Gewalt die fehlende Perspektivlosigkeit, aber auch körperliche und seelische Misshandlung durch Erwachsene, Gewaltattacken und Lebensgefahr in den Wohnvierteln, in denen ihre Familien gestrandet sind. Als weitere Gründe nennen sie die Möglichkeit, auf der Straße leichter an Drogen zu kommen. Viele sind von ihren Familien, ihrer Umgebung und der Aussichtslosigkeit ihres Alltags enttäuscht. Statt zu resignieren, suchen sie ein besseres Leben auf der Straße.
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Medellín, Barrio El Naranjal, 2006
Straßenkinder in Medellín geben den überwiegenden Teil des Geldes, das sie verdienen, für Drogen aus. Jungen und Mädchen nehmen Kleber ("pegante") als Einstiegdroge. Der Schusterleim ist bei den Jüngsten am meisten verbreitet. Nach dem 12. Lebensjahr nimmt der Konsum von Marihuana stark zu. Die Älteren hingegen bevorzugen Basuco. Mit alkoholischen Getränken wird oft schon im Alter zwischen 9 und 11 Jahren begonnen. Ab 13 Jahren gehen Straßenkinder vom Kleberschnüffeln häufig auf den Konsum härterer Drogen über.80 Prozent der bettelnden Kinder Medellíns werden angeblich von Erwachsenen auf die Straße geschickt, um für sie zu arbeiten. Was sie verdienen, müssen sie anschließend abliefern. Es soll arme Mütter geben, die ihre Kinder vermieten, damit sie für einen beliebigen Auftraggeber Almosen erbetteln. Wesentlich mehr verdienen diejenigen Mütter, die ihre Töchter zur Prostitution frei geben, zumal wenn diese erst sieben oder acht Jahre alt sind.
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Medellín, Santo Domingo Sabio, 2008
Links und Literatur
> CIFRAS EN MEDELLÍN
> LOS PARAQUITOS DE LA COMUNA 13 DE MEDELLÍN: (Operación Orión)
Literatur
- Secretariado Nacional de Pastoral Social. Conferencia Episcopal de Colombia (ed.): Desplazamiento forzado en Antioquia 1985 - 1998, Bogotá 2001.
- Alcaldia de Medellín (ed.): Centro Adentro. Medellín, Januar 2006, edición No. 2.
- DANE (ed.): Censo Sectorial Habitantes de y en la calle, 2002.
- Héctor Abad: El olvido que seremos, Bogotá 2006; deutsch: Brief an einen Schatten. Eine Geschichte aus Kolumbien, Berlin 2009.
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