Amerika | Afrika | Asien | Europa | Australien | Bedrohte Kindheiten | Publikationen | Projekte | Medien

Suche:   


Afrika

Gründe für das Leben auf der Straße
(Bruder Lothar Wagner SDB und Ulf Prokein, Freetown)
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Die Motive, warum Jugendliche auf der Straße leben, sind vielschichtig. Meist werden als Gründe sexueller Missbrauch in der Familie (7,3%), das ungewollte Ausscheiden aus der Familie durch Kinderhandel (8,9%), Kinderarbeit (9,8%), physische und/oder psychische Gewalt in der Familie ohne sexuellen Missbrauch (29,9%) und  Hunger in der Familie (44,1%) genannt.
 
Kinder berichteten sehr oft, dass sie vor dem Verlassen der Familie und vor  ihrem Leben auf der Straße etwas im Haus bzw. von Familienmitgliedern gestohlen haben (meist Geld). Eine Rückkehr in die Familie halten sie deshalb für kaum mehr möglich. Die Möglichkeit Geld zu entwenden, sehen die Straßenkinder eher als Auslöser, weniger als  Grund
fuer ihr Leben auf der Straße an. Sie nutzen die Möglichkeit des Stehlens, um ein „Anfangskapital" für ihr neues Leben auf der Straße zu haben.
 
 

 1. Kinderhandel

Knapp 10% der befragten Kinder, überwiegend aus dem ländlichen Gebiet, berichteten, dass sie von eigenen Familienmitgliedern an Fremde übergeben wurden. Unter dem Vorwand, dem Kind eine gute Ausbildung in Freetown angedeihen lassen zu wollen, werden Kinder aus dem Familienverband genommen und  Fremden übergeben.
 
Angekommen in Freetown, werden die Kinder jedoch nicht in die Schule geschickt, sondern auf die Straße, um Lebensmittel, Zigaretten oder andere Gebrauchsgegenstände zu verkaufen. Das tägliche Einkommen beim Verkauf dient ausschließlich dem Familienunterhalt des Fremden. Neben einer täglichen Mahlzeit wird dem Kind eine Schlafstätte mit anderen zugewiesen. Ein Kind malte während dem Begegnungstag seine Schlafstätte bei dem Fremden, das ihn mit zehn anderen Kindern auf einer großen Matratze in einer kleinen Hütte zeigt. Die Straßenjungen zeigten während der Gespräche mit den Sozialarbeitern ein großes Unrechtsbewusstsein.
 

Während sie von morgens bis spät in die Nacht arbeiten mussten, konnten die eigenen Kinder des Fremden durch die Verdienste der Straßenjungen die Schule besuchen. Mit diesem Unrechtsbewusstsein sind die Straßenjungen auf die Straße „geflüchtet" und sehen keine Möglichkeit, zu ihren Familien zurückzukehren.

 

2. Sexueller Missbrauch

Jungen geben sexuellen Missbrauch sowie Prostitution durch männliche Erwachsene selten als den Grund für ihr Leben auf der Straße an. Dennoch berichteten 8% der befragten Jungen von sexuellen Übergriffen durch männliche Verwandte, Bekannte oder Lehrer sowie von mangelnden Möglichkeiten, diesen zu entgehen. Wenn es zu sexuellen Übergriffen Erwachsener auf Kinder kommt und diese öffentlich werden, ist es in Sierra Leone weit verbreitet, dass die Kinder als die Schuldigen ausgemacht werden, da sie es seien, die die Erwachsenen verführt haetten. Die Mehrheit der Sierra Leonesen lehnen jede Art von sexuellen Handlungen mit dem selben Geschlecht strikt ab und bekämpft dies nicht nur verbal. Jungen sehen daher oft nicht die Möglichkeit, an ihnen begangenen sexuellen Missbrauch zu artikulieren, geschweige denn Hilfe zu erhalten. „Die einzige Möglichkeit, meinem Onkel zu entgehen, war die Flucht. Ich habe keine Alternative dazu gesehen", so der heute sechszehnjährige Mustafa. Dagegen meint Francis, 14 Jahre: „Es kam hin und wieder zu sexuellen Handlungen durch meinen Stiefvater. Ich bin mir erst auf der Straße darüber bewusst geworden, dass er nicht das Recht hatte, mich anzufassen. Es war aber mehr seine schlechte Behandlung insgesamt, die ich satt hatte. Oft hat er mich geschlagen und mit Arbeit zugedeckt".

 

3. Kinderarbeit

Jedes zehnte Kind (10,8%), das sich an der Fragebogenerhebung beteiligte, gab an, dass es Zuhause von morgens bis abends arbeiten musste, um für ausreichendes Einkommen der Familie zu sorgen. „Ich habe den ganzen Tag Steine geklopft, damit wir genügend Geld fürs Essen bekamen", so Santige (16 Jahre).

 

4. Gewalt in der Familie

Jeder dritte Straßenjunge (32,8%) sprach von physischer sowie psychischer Gewalt in der Familie, die ihn dazu veranlassten, dass Haus zu verlassen. Meist wird die Gewalt durch die Stiefmutter und/oder den Stiefvater ausgeübt, gefolgt vom älteren Bruder. Weniger berichten die Kinder von Gewalt durch die eigenen Eltern, was aber auch durch die Entwicklungshase des Kindes erklärt werden kann.

 

5. Hunger

Fast die Hälfte der befragten Kinder (48,4%) gaben Hunger sowie Armut als den Grund für ihr Leben auf der Straße an. Mustafa sagt im Interview: „Ich habe höchstens eine Mahlzeit pro Tag erhalten, die ich dann mit meinen Geschwistern teilen musste. Ich habe immer Hunger gehabt." Ein Gefühl, das er nach seiner Aussage nicht mehr in dieser Härte auf der Straße hatt. Die Straßenjungen sind auf der Straße meist damit beschäftigt, Nahrung durch Arbeit, Betteln oder Stehlen zu bekommen. Sierra Leone gehört nach dem Global Hunger Index (2010) zu den 29 Ländern der Welt, in denen die Hungersituation immer noch als sehr ernst beziehungsweise gravierend beurteilt wird. Diese Tatsache erleben und betreffen die Straßenkinder besonders hart.

 

Letzte Aktualisierung dieser Seite: 06.01.2011 (Prof. Dr. H. Weber)Online Kompetenz  |  Sitemap  |    |