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Amerika

Strassenkinder in Kolumbien - Lebensschilderungen

MARCELA

Sie ist vierundzwanzig Jahre alt, eine attraktive junge Frau. Wir lernen sie auf der Straße kennen, wo sie Süßigkeiten verkauft. Sie verdient damit 1.200 Pesos am Tag, umgerechnet einen halben Euro. Marcela kokettiert gerne. Sie weiß, was sie will, und sie kann sich ausdrücken, wenn nicht gerade der Drogenrausch ihre Sinne benebelt; dann spricht und bewegt sie sich wie in Trance. Sie erzählt von ihren beiden Kindern, die sie von zwei unterschiedlichen Männern hat; einem Mädchen von 16 Monaten und einem Jungen von vier Jahren. Der Kleine ist bei Marcelas Tante untergebracht und die Tochter bei ihrer Großmutter väterlicherseits. Marcela hat ihre Familie verlassen, als sie zehn Jahre alt war. Sie war schon immer rebellisch, sagt uns ihr Vater, als wir ihre Eltern besuchen. Seither lebt sie mal hier, mal dort, meist irgendwo auf der Straße, in einem cambuche unter einer Brücke oder vor einem Ladeneingang in einer Seitenstraße, die zur Plaza Cisneros im Zentrum Medellíns führt, den die Straßenbewohner "La Manga" nennen.

Marcela ist von Santiago, ihrem letzten Lebenspartner, verstoßen worden. Sie hatten sich auf der Straße kennengelernt. Als wir ihr im März 2002 zum erstenmal begegneten, war Gorras ihr neuer Freund, ein junger Mann von etwa neunzehn Jahren. Sie waren sehr verliebt und küssten sich oft, mal zärtlich, mal inbrünstig. "Zwanzig Tage sind wir schon zusammen", erzählte Marcela stolz. Bei unserer zweiten Begegnung im August 2002 fanden wir Marcela verzweifelt vor. Sie weinte oft. Santiago, der Vater ihrer kleinen Tochter, war ermordet worden. "Das haben die Milizen getan", berichtete sie. "Es geschah nach einem der üblichen Fußballspiele samstags im Viertel. Sie holten ihn und brachten ihn vor den Augen der Kinder um". Milizen sind die jugendlichen Banden, die in den Comunas für "Ordnung" sorgen. Sie sind vermeintliche oder tatsächliche Mitglieder der Guerilla und der Paramilitärs, und vertreiben oder töten diejenigen, die sich ihnen nicht anschließen wollen. Wenige Wochen nach Santiagos Tod wurde auch sein Bruder ermordet. Die Mutter der beiden muss nun ihre sechs kleinen Enkel alleine versorgen.

"Das wäre mein Wunschtraum: auf dem Land zu leben, in einem kleinen Dorf, weit weg, in einem Häuschen. Ein kleiner Teich in der Nähe, ungefährlich für die Kinder, wo sie frei herumlaufen könnten, wo kein Auto sie überfahren und niemand sie überfallen würde. Alles dort wäre ganz klein: der Fernseher, ein kleiner Wohnraum, zwei Betten für die Kinder und eins für mich. Und an allen Wänden würde ich Landschaftsbilder, Fotos von meinen Kindern und Blumen aufhängen, viele natürliche Blumen in wunderschönen Farben ...."

 

Letzte Aktualisierung dieser Seite: 27.09.2012 (s. admin)Online Kompetenz  |  Sitemap  |    |