Situation der Straßenmädchen
(Bruder Lothar Wagner SDB und Ulf Prokein, Freetown)
Insgesamt beteiligten sich 143 Mädchen an der Fragebogenerhebung. Stichproben wurden für einzelne Fragen nachts erhoben, an denen sich wiederum 60 Mädchen beteiligten. Die Sozialarbeiter schätzen die Anzahl der Mädchen, die Tag und Nacht auf der Straße in Freetown leben, auf 500.
1. Das Alter
Eine Angabe über das Durchschnittsalter von Straßenmädchen in Freetown machen zu wollen, ist überaus schwierig. Viele der Mädchen haben entweder keine Angabe machen wollen oder gaben erkennbar ein falsches Alter an. Viele der Straßenmädchen bezeichnen sich als aelter als sie in Wirklichkeit sind. Da die Straßenmädchen überwiegend der illegalen Kinderprostitution nachgehen, wollen sie sich nicht als Minderjährige outen, um möglichen Repressalien der Polizei zu umgehen. Auch ist das Verhältnis zu Erwachsenen grundsätzlich und damit auch zu den Sozialarbeitern von großem Misstrauen geprägt.
Dennoch haben wir die Mädchen um eine Altersangabe gebeten und darauf geachtet, dass wir nur die Mädchen ansprechen, die sichtbar jünger als 18 Jahren sind. Das Ergebnis war nicht überraschend: Die
Mädchen sind ihren Angaben zufolge im Durchschnitt 18,4 Jahre alt, also im Schnitt 4,1 Jahre älter als die Straßenjungen. Die jüngsten befragten Maedchen, die im Monat September 2010 ihr Alter mit 18 und älter angegeben hatten, änderten ihre Altersangabe während der Erhebung, nachdem sie Vertrauen zu den Sozialarbeitern gefasst hatten.
2. Die Herkunft
Während die Straßenjungen überwiegend aus der ländlichen Gegend nach Freetown kommen (62,9%), kommt der Großteil der Straßenmädchen direkt aus der Stadt Freetown. Von den 143 befragten Straßenmädchen kommen 64 von außerhalb des Großraums Freetown bzw. Western Area (44,8%) und mehr als die Hälfte aus Freetown (51,2%; Western Area ohne Freetown 4,2%). Es ist auffällig, dass der Großteil der Straßenmädchen von außerhalb Freetowns aus der Stadt Makeni kommt (16,8%).
3. Aufenthaltsorte in Freetown
Auch die Aufenthaltsorte der Mädchen unterscheiden sich von denen der Straßenjungen. Während die Jungen sich überwiegend im Stadtkern Freetowns aufhalten, sind jeweils ein Drittel der Mädchen an
den Stränden zwischen Lumley und Aberdeen (34,3%), an der Texaco Lorry Parc (31,1%) sowie im Stadtkern (Garisson Street/Victoria Park, Susans Bay und Fisher Street, 30,3%) unterwegs.
4. Verweildauer auf der Straße
42,7% der befragten Mädchen leben seit zwei Jahren oder länger ohne festen Wohnsitz und ohne jede familiäre Bindung auf der Strasse, 17,5% zwischen einem und zwei Jahren.
5. Gründe für das Leben auf der Straße
Auch bei den Mädchen sind die Gründe, weshalb sie auf der Straße leben, vielschichtig. In den meisten Fällen sprechen die Mädchen von schlechter Behandlung durch die Familienmitglieder (62,2%). Viele Mädchen erlebten Missbrauch verschiedener Art in ihren Familien - Angst vor Genitalverstümmelung (12,4%), Arbeiten im Haushalt/Kinderarbeit (27%), Zwangsprostitution (27%), sexuelle Belästigung (32,4%), Zwangsheirat (34,2%). Meist werden neben diesen Gründen auch die Armut der Familie (Hunger) sowie der negative Einfluss von Bekannten bzw. der Freiheitsdrang, selbstaendig das Leben führen zu koennen, als Grund fuer das Verlassen der Familie genannt.
Eine große Mehrheit der Straßenmädchen (61,6%) halten eine Rückkehr in ihre Herkunfts- bzw. Großfamilie für unmöglich, da sie dort als Prostituierte gelten und damit für die Familie Schande bedeuten. Die Sozialarbeiter berichteten auch bei den Straßenmädchen von Fällen des Kinderhandels. Mit dem Versprechen, sie zur Schule nach Freetown zu bringen, wurden die Mädchen aus der Obhut der Familie gerissen. In Freetown angekommen, wurden sie auf die Straße statt zur Schule in die Prostitution geschickt.
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