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Erfahrungen der Mädchen auf der Straße
(Bruder Lothar Wagner SDB und Ulf Prokein, Freetown)
 
 Während die Straßenjungen sich Tag und Nacht auf der Straße aufhalten und sich in Cliquen organisieren, sind die Mädchen fast ausschließlich in der Prostitution unter Zuhältern aktiv, die ihnen nach

dem Beischlaf mit den Freiern, Obdach und vor allem Schutz bieten. Straßenmädchen sind daher meist abends zwischen 20 bis 5 Uhr morgens auf dem Straßenstrich zu sehen.

 

1. Erfahrungen mit der Polizei

Beim Begegnungstag der Straßenkinder und der Polizei verließen alle Straßenmädchen das Don Bosco Fambul-Gelände, nachdem zehn Polizisten zur Aussprache erschienen. Nach übereinstimmenden Berichten sehen die Straßenmädchen in der Polizei eher eine Bedrohung als einen Beschützer. Die Sozialarbeiter berichten, dass Gespräche mit den Mädchen in der Nacht abrupt beendet wurden, wenn die

Mädchen von weitem Polizisten auf sie zukommen sahen. Die Polizisten patrollieren im Straßenstrich weniger wegen der illegalen Kinderprostitution, sondern vielmehr um selbst als Freier aktiv zu

werden.
 
Fast alle Mädchen (92,5%) äußern, dass die Polizisten nur zwei Dinge im Sinn haben, sexuelle Ausbeutung sowie Geld von den Straßenmädchen. 13 Straßenmädchen berichten, dass sie bereits von

Polizisten vergewaltigt wurden. Sozialarbeiter berichten, dass sie mehrfach Zeuge von verbalen Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und Zuhältern wurden (meist unterhalb Viktoriapark). In zwei Fällen kam es zu Kampfhandlungen zwischen einem Polizisten und einer Prostituierten, die sich gegen sexuelle Handlungen des Polizisten wehrte (Garrison Street). In einem weiteren Fall wurden die Sozialarbeiter

Zeuge von schwersten Faustschlägen und Fußtritten, die einem Mädchen von drei Polizisten zugefügt wurden (Rawdon Street). So wundert es nicht, dass bei der Frage nach der Gewalterfahrung auf der

Straße und deren Ausübung 91% der befragten Mädchen die Polizei nennen.
 
Nicht selten kommt es auch vor, dass Polizisten den Mädchen ihren Verdienst abnehmen. Auch die Freier selbst sind vor gewalttätigen Polizisten nicht sicher. Anstatt die Straftat des Freiers, Beischlaf mit Minderjährigen zu ahnden und zur Anzeige in einer Polizeidienststelle zu bringen, werden auch die Freier bedrängt und ihnen Geld abgenommen.
 
2. Gewalteinwirkung durch Fremde
Neben der Gewalterfahrung durch die Polizei beklagen 51% der Straßenmädchen Vergewaltigungen durch Fremde, meist durch Mitglieder männlicher Jugendbanden. Sozialarbeiter wurden in der Nacht zweimal Zeuge schwerster Vergewaltigungen. In Texaco Lorry Station fielen fünf Männer im Alter von 18 bis 20 Jahren über ein 13jähriges Mädchen her. Das sich gegen die Vergewaltigung wehrende Kind wurde anschließend von Dutzenden von Passanten davon abgehalten, zur Polizei zu gehen.
 
In Aberdeen trafen Sozialarbeiter auf eine Gruppe von Männern im Alter von 25 bis 30 Jahren, die zwei Mädchen einkreisten und zwangen, ihre Kleider abzulegen. Mädchen berichten, dass solche Situationen meist zu Vergewaltigungen führen und die Kinder sich angesichts ihrer aussichtslosen Situation nicht wehren.
 
3. Gewalteinwirkung durch die Peer Group

Acht Mädchen berichteten von sexuellem Missbrauch und sechs von Gewalteinwirkungen durch Mitglieder der Peer Group.

 

4. Erfahrungen mit Drogen

Auch hier stehen, wie bei der Altersangabe, die Angaben der Straßenmädchen im krassen Widerspruch zu den Erfahrungswerten der Sozialarbeiter. Während nur 11 (7,6%) Mädchen angaben, regelmäßig

Alkohol zu konsumieren, meinen die Sozialarbeiter, dass weit mehr als die Hälfte am Abend meist leicht angetrunken anzutreffen seien. „Meist trinken wir, weil der Freier uns was aufdrängt", so eine Aussage von Fatmata, 15 Jahre. Alkohol wird von den meisten und zwar regelmäßig konsumiert.

 

5. Straßenmädchen und Kinderprostitution in Freetown

Die Straßenmädchen in Freetown gehen fast alle der Kinderprostitution nach, was auch 91,2% der Befragten angaben. Die Tatsache, dass die Sozialarbeiter jedoch alle befragten Kinder auf dem Kinderstrich antrafen, lässt sogar die sehr hohe Zahl von 91,2% noch als zu gering erscheinen. Durch die Aktivitäten auf dem Kinderstrich erklären sich auch die Aufenthaltsorte (siehe auch 5.3). Lumley/Aberdeen Beach,

Texaco Lorry Park sowie die Straßenzüge rund um den Viktoriapark gelten als die Kinderstrichszenen in Freetown.
 
91% der Mädchen, die der Prostitution nachgehen, gaben an, dass sie von niemand zu Prostitutionsdiensten gezwungen werden. Nur 13 von 143 Mädchen sprechen allerdings von Zwang zur
Prostitution durch einen Zuhälter.
 
Der Zuhälter ist in 84,6% (11 von 13) der Fälle der eigene „Freund" des Mädchens, in zwei Fällen Frauen, die den Mädchen Obdach bieten. 72,3% der auf dem Straßenstrich aktiven Mädchen gaben an, dass ihre Zuhälter von den Einnahmen der Mädchen leben und sie im Gegenzug Schutz, Sicherheit und Geld für den täglichen Bedarf erhalten.
 

Die Preise für sexuelle Dienste variieren je nach Gebiet, Dauer sowie Art der sexuellen Handlungen. Während rund um den Viktoriapark Preise von 5.000SLL bis zu 50.000SLL ausgehandelt werden, sind die

Preise am Aberdeen Beach weitaus höher und liegen zwischen 30.000SLL bis 200.000SLL.
 
Einen verschwindend geringen Teil der Einnahmen erhalten die Straßenmädchen. Der ihnen garantierte Schutz durch Zuhälter und Wächter lassen sich diese von den Mädchen gut bezahlen. Ohne diesen
Schutz ist es für die Mädchen nicht möglich, auf der Straße zu überleben.
 
Während um den Viktoriapark und in Aberdeen der Kinderstrich sichtbar durch Zuhälter organisiert ist, geht es im Osten der Stadt (Texaco Lorry Park) sowie in Kroo Bay und Susans Bay vergleichbar ohne jede Reglementierung zu. Die Mädchen gehen vereinzelt und selbstständig der Prostitution nach. Sie geben zwar an, dass sie sich freiwillig den sexuellen Diensten hingeben, jedoch weisen die Sozialarbeiter darauf hin, dass sie durch Familienangehörige zur Prostitution gezwungen werden, um so zum Familieneinkommen beizutragen.
 
Die Mädchen halten sich in „Texaco" in der Nähe eines dunklen, nicht fertiggestellten Hauses auf, um dort, mehr oder weniger unbeobachtet, sich für sexuelle Dienste mit dem Freier zurückzuziehen. Nach Berichten der Sozialarbeiter sehen die Mädchen im Kondom nicht eine Schutzmöglichkeit vor Krankheiten und Schwangerschaft, sondern ein  Mittel, um den Preis für den sexuellen Akt in die Höhe zu treiben.
 
Es versteht sich von selbst, dass Straßenmädchen meist nachts arbeiten und vormittags schlafen (im Unterschied zu den Jungen). Gegen morgen kehren die Mädchen meist zu den Zuhältern, „Freunden" oder Bekannten zurück, die ihnen ein Bett, wiederum gegen sexuelle Dienste, anbieten (87,1%). Dort schlafen die Mädchen meist bis Mittag. Sichtbar wurde dies beim Begegnungstag in Don Bosco Fambul, als erst gegen 12 Uhr mittags die ersten Mädchen in das laufende Programm kamen, wogegen die Straßenjungen bereits kurz vor 7 Uhr vor der Tür warteten.
 
33 Mädchen berichteten, dass sie am Nachmittag als angestellte Verkäuferinnen tätig sind (23,1%), gefolgt von der Mitarbeit als Frisörin (14,3%). Fast alle anderen leisten bei Familien häusliche Arbeiten wie

Bügeln, Waschen, Putzen, etc. Hierfür erhalten sie meist etwas zum Essen, jedoch keine Entlohnung wie Geld oder Obdach.

 

6. Der familiäre Hintergrund

Die statistischen Daten bezüglich des Familienhintergrundes der Straßenmädchen in Freetown unterscheiden sich im Wesentlichen nicht von denen der Straßenjungen. Von den 143 befragten Straßenmädchen sind 29 Mädchen Vollwaisen (20,3%) und 33 Mädchen Halbwaisen (23,1%). Mehr als die Hälfte der Kinder (56,6%) gaben an, dass beide Elternteile leben, wobei nur 6,2% dieser Ehepaare zusammenleben. Nur zwei der befragten Kinder (1,4%) lebten mit beiden Elternteilen und 14 mit einem Elternteil (9,8%) zusammen, bevor sie die Familie verlassen mussten. 88,8% der Straßenmädchen

lebten demnach nicht mit den Eltern bzw. einem Elternteil zusammen.
 
Im Unterschied zu den Straßenjungen, die mehrheitlich mit Mitgliedern der weiteren Großfamilie (Tante, Onkel, Stiefmutter, Großmutter, etc.) lebten, wohnten die Straßenmädchen zuvor mit Bekannten der Familien bzw. mit Fremden, die ihnen Obdach boten. So sind nur 23% der Mädchen an einer Rückkehr in die Herkunftsfamilie interessiert (im Gegensatz zu den Jungen, die sich mehrheitlich eine Rückkehr in deren Familien wünschen). Diese Diskrepanz lässt sich durch die Entfremdung zwischen Straßenmädchen und eigener Familie sowie aufgrund der erlebten Diskriminierung und erfahrenen Stigmatisierung durch die eigenen Familienmitglieder erklären.
 

7. Der Bildungshintergrund

59% der Straßenmädchen können nicht lesen und schreiben. 21% machten keine Angaben. Nur 27 Straßenmädchen wurden in die erste Klasse der Primary School eingeschult (18,9%, bei den Jungen:

96,2%), von denen 7 Mädchen den Grundschulabschluss (4,9%, bei den Jungen 17%) erhielten.
 

Auffällig ist, dass von den weiblichen Grundschulanfängern 26% den Grundschulabschluss erreichten (bei den Jungen 17%). Eine Erklärung dafuer könnte sein, dass alle weiblichen Grundschulabsolventen

berichteten, dass sie für sexuelle Dienste dem Lehrer jederzeit zur Verfügung stehen mussten. Zwar haben drei Mädchen die Junior Secondary School besucht. Keine von ihnen konnte jedoch den Abschluss

machen, da sie bereits das damalige Umfeld (Familie, Bekannte, Schulort, etc.) verlassen hatten.
 
Während bei den Jungen die Sozialarbeiter von der Schule als einem wichtigen Stabilitätsfaktor sprechen, muss dies bei den Straßenmädchen in Frage gestellt werden. Offenbar spielt sich die Kinderprostitution nicht nur auf den Straßen, sondern auch in Schulen ab.  Ähnlich wie im Blick auf eine Reintegration in die Familie zeigen die Mädchen für die Schule wenig bis kaum Motivation (im Gegensatz zu den Jungen). Daher scheint den Sozialarbeitern von Don Bosco Fambul eine Rehabilitation mit der Zielsetzung der Reintegration von Straßenmädchen eine der schwierigsten Herausforderung

für die Straßensozialarbeit zu sein.

 
8. Der Gesundheitszustand
33% der Straßenmädchen gaben an, krank zu sein bzw. sich krank zu fühlen (bei den Jungen: 47%). Bei einem medizinischen Check-up während des Begegnungstags in Don Bosco Fambul waren von den sich gesund fühlenden 94 Straßenmädchen 45 mehr oder weniger krank (Erkältung, Bauchweh, Kopfweh, Malaria). Eine grosse Zahl von Mädchen hatte Geschlechts- und Hautkrankheiten. Von den 81 anwesenden Mädchen hatten etwas mehr als die Hälfte diese Krankheiten.
 
Die Sozialarbeiter stießen bei ihren nächtlichen Rundgängen auf fünf schwangere Mädchen, bei zwei weiteren war die Periode ausgeblieben. Die schwangeren Mädchen prostituieren sich aber weiterhin. Laut den Straßenmädchen bevorzugen manche Männer schwangere Prostituierte, wofür die Straßenmädchen eine bessere Entlohnung einfordern und erhalten.
 
 Ein gravierendes und alamierendes Problem ist die unzureichende medizinische Versorgung und die fehlende Gesundheitsprävention (z.B. nicht vorhandener Schutz vor Mosquitos, Fehlen von Kondomen etc.).

Letzte Aktualisierung dieser Seite: 06.01.2011 (Prof. Dr. H. Weber)Online Kompetenz  |  Sitemap  |    |