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Afrika

Interviews
 
Gespräch mit Nayasha, einem Mädchen von 14 Jahre aus Simbabwe,
(geführt von Maren Basfeld im April 2010 bei Johannesburg)
 
Frage: Wie bist du nach Kids Haven gekommen?
 
N: Vor zwei Tagen kam ich von der Methodist Kirche.
 
Frage:  Du kamst von der Central Methodist Church?
 
N: Ja, davor lebte ich bei meiner Tante in Simbabwe, und danach kam ich nach Kids Haven. Bevor ich hierher kam, hatte ich niemanden. Es war eine sehr schwierige Situation.

Frage:  Wo war es am schwierigsten, in Südafrika?

N: Nein, in Simbabwe. Meine Mutter und mein Vater ließen sich scheiden, als ich sieben Jahre alt war. Mein Vater wurde verfolgt, weil er für die Partei MDC und damit gegen Mugabe war. Es gab Drohungen durch die ZANU-PF, und wir alle waren nicht mehr sicher. Als ich zehn war, lebte ich bei der Schwester meiner Mutter. Meine Mutter lebte nicht mehr in Simbabwe, sie war nach Südafrika gegangen. So versuchte mein Vater, sich um uns zu kümmern, um mich und meinen Bruder. Meine Mutter ist diejenige, die uns im Stich ließ. Ich lebte also mit der Schwester meiner Mutter und ihrem Mann. Doch ich konnte nicht länger in Simbabwe bleiben, wegen des Streits mit dem jüngeren Bruder meines Onkels.

Frage: : Was ist passiert?

N: Er begann, mich anzumachen. Ließ nicht locker, und im September vergewaltigte er mich. Ja, das war der Moment, wo ich meine Mutter anrief und ihr sagte, ich könne nicht mehr in Simbabwe leben. Konnte nicht mehr in seiner Nähe sein. Meine Mutter organisierte die Papiere, damit ich hierher kommen konnte.

Frage:  Also hattest du eine Einreiseerlaubnis?

N: Ja, so bin ich her gekommen und habe meine Mutter getroffen, in der Methodist Kirche. Sie sagte, sie wollte für mich einen Unterschlupf finden. So kam ich zu dem Sozialabeiter, der mich nach Kids Haven brachte. Meine Mutter sagte, es wäre dort sicherer, ich könne nicht in der Methodist Kirche bleiben. Meine Mutter ist immer noch dort. Ich mache mir Sorgen, denn es ist dort sehr unsicher.


Interview mit Siyabonga, einem Jungen von 17 Jahren aus Simbabwe
(geführt von Maren Basfeld im April 2010 bei Johannesburg)

Frage:  Hast du schon einmal ein Interview auf Tonband gegeben?

S: Nein.

Frage:  Willst du das mal machen?
S: Ja. Du kannst sofort damit anfangen.

Frage:  Du hast einmal gesagt, du seiest ein „Bad Boy" und kämpfst gerne. Wo genau hast du gekämpft?

S: Oh, in der Schule!
 
Frage:  In der Schule? Mit deinen Klassenkameraden oder mit deinen Lehrern?

S: Mh, mit Freunden.

Frage:
 
Was ist geschehen?

S: Ja, ich erinnere ich da an einen Tag. Ich war gerade dabei, ein anderes Kind zu mobben und hatte viel Spaß, verstehst du? Weist du, ich hatte auf einmal so viel Macht über den anderen. Aber mit der Zeit, wenn du größer und älter wirst, musst du dich verändern, verstehst du?

Frage:  Ja.

S: Wenn du deine Einstellung änderst, musst du auch deinen Alltag ändern.

Frage:  Aber wer oder was hat dich dazu gebracht, dich zu verändern?

S: Weißt du, es gibt Menschen, diese Menschen wissen, wie sie Kindern Ratschläge geben, verstehst du, die diese Kinder veranlassen, nicht den falschen Weg einzuschlagen.

Frage:  Also hast du solche Menschen getroffen?

S: Ja, in Kids Haven (Einrichtung für Straßenkinder, östlich von Johannesburg), dort ist einer von den Uncles mein Ratgeber (männlicher Betreuer/Sozialarbeiter). Falls ich mal woanders sein werde, diesen werde ich immer in Erinnerung behalten. Bestimmt.

Frage:  Mh, wie hat er dich beraten?

S: Er hat gesagt, dass Kids Haven ein Shelter für Straßenkinder ist, wir alle aber hier lange lange bleiben können, vielleicht bis zum Ende des Lebens. Wenn man aber weiß, dass man allen Respekt zeigt, auch den Anderen, und sich selbst, und dass dir bewusst ist, für was du hierher gekommen bist, kann dein Leben weitergehen. Du musst es selbst in die Hand nehmen. Aber wenn du Anderen folgst, also, sagen wir, einer ist mein Freund, und dieser hat früher gestohlen, dann wirst auch du stehlen. Das ist der falsche Weg, sich zu verändern, denn du kannst dich nicht verändern, wenn du bloß einem anderen folgst. Wir alle hier müssen daran denken.
Als wir das erste Mal nach Kids Haven kamen, waren wir nicht „neu", aber jetzt sind wir es. Wir müssen uns einfach dessen bewusst sein, weswegen wir hierher kamen. Wir alle haben unterschiedliche Lebensgeschichten, und du musst dran denken, was dich hierher gebracht hat, damit du dich „erneuern" und verändern kannst. Denn wenn du nicht zurückschaust, wirst du dich nicht verändern. Aber es ist auch nicht so, dass du zurückblickst und sagst, „Wow, ich habe damals das Falsche getan und jetzt verändere ich mich einfach so." Dir muss bewusst werden: Ich wachse heran und verändere mich mit der Zeit.
Weißt du, wenn du sagst: Ich bin immer noch ein Kind, Moira (Heimleiterin) ist für mich da, meine Sozialarbeiter sind für mich da, und ich bin immer noch ein Kind, dann bedeutet das, dass du noch nicht erwachsen bist und dein Leben noch nicht selbst in die Hand genommen hast.

Frage:  Wie alt bist du?

S: Ich, ich bin 17.

Frage:  Jeden Tag weiß ich, dass Menschen erwachsen werden, Tag für Tag, Nacht für Nacht. Morgen für Morgen wachse ich, und es ist egal, dass man nicht sieht, wie man wächst, man wächst dennoch. Also musst du die Möglichkeit erkennen, die dir geboten wird, hierher zu kommen, zu lernen, zur Schule zu gehen, und dass du vier Mahlzeiten am Tag hast. Viele von uns waren es nicht gewöhnt, vier Mal am Tag zu essen. Das hatten wir nicht. Vielleicht einmal am Tag, manchmal wussten wir nicht, wann es wieder etwas zu essen geben würde. Damit musst du klar kommen. Nutze diese Möglichkeit einfach. Aber nutze sie nicht engstirnig, sondern dafür, um auf den richtigen Weg zu kommen. Damit man eines Tages wie Moira sein kann oder wie du, oder….

Frage:  …dass du selbst aus deinem Leben etwas machen kannst?

S: Ja, genau.

Frage:  Was würdest du denn gerne nach der Schule machen?

S: Ich?

Frage:
 
Ja, du.

S: Manchmal denke ich, ich will später mal wie Moira sein, verstehst du. Manchmal, weißt du, da bist du kein Mensch, so ohne Emotionen. Manchmal, da machst du deine Arbeit verbunden mit vielen Emotionen. Du weinst über ganz kleine Ereignisse, so was in der Art. Ich liebe die Einstellung: "You never give up (Gib niemals auf!)". Vielleicht gibst du im Kampf auf, aber nicht in der Liebe, da gibst du niemals auf. Jetzt wirst du erwachsen, und noch weißt du nichts von den kommenden Herausforderungen, nichts davon, was in dir steckt, verstehst du?

Frage:  Ja.

S: Du weißt nichts von dem „Geschenk", das in dir schlummert, ob du ein Arzt werden wirst z.B., das weiß ich nicht. Aber irgendwann passiert etwas, was dir sagt, „Wow, du wirst einmal ein Arzt werden, das willst du machen." Bei mir war das so. Ich will Arzt werden!

Frage:
 
Also beendest du die Schule und gehst auf die Universität?

S: Ja. Aber nicht allen von uns wurde dieses Wissen vermittelt und die Möglichkeit gegeben, zur Schule zu gehen. Es gibt Leute, die sind reich, und sie gingen nicht zur Schule. Aber sie besitzen manchmal mehr Weisheit als die, die zur Schule gingen. Weißt du, so viele Menschen bei uns in Simbabwe haben die Schule abgeschlossen, aber keinen Job gefunden. Heutzutage gibt es keine Arbeit mehr.

Frage:  Ja, das stimmt.

S: Das bedeutet: Deinen eigenen Traum zu erfüllen, das hängt von mehr als nur von der Schule ab. Es hängt von dir ab, was du daraus machst. Schritt für Schritt gehst du diesem Ziel entgegen. Niemand wird kommen und sagen: „Siyabonga, du willst Manager werden? Hier ist dein Sessel." Jeder würde sagen, wie kann man Manager sein, ohne das gelernt zu haben, was man als Manager braucht? Das geht nicht, also musst du es lernen, du musst mehr lernen. Denn das Leben ist schwer, im Leben läuft nicht alles so, wie man es sich wünscht. Man muss selbst etwas dafür tun. Niemand weiß von Anfang an, wie das Leben sein wird. Selbst du, du führst dein Leben, weil du es selbst zu einem besseren Leben gemacht hast. Stimmt doch, oder?

Frage:
 
Ja, das ist wahr. Hast du selbst für einige Zeit auf der Straße gelebt?

S: Nein, nicht direkt. Aber oft habe ich Menschen auf der Straße gesehen, die dort leben. Das zu sehen, war sehr schmerzvoll für mich. Aber weißt du, nicht alle hier, die in diesem Gebäude leben, waren mal auf der Straße, aber die Hälfte hat sicher früher schwieriges und kriminelles Verhalten gezeigt, und die Betreffenden wissen, warum sie hierher gekommen sind. Sie wissen, wofür sie hier sind. Weißt du, andere Jugendliche lieben die Schule so sehr und würden gerne zur Schule gehen. Wie ich, ich gehe gerne zur Schule. Aber weißt du, die Schule verdient mich nicht (lacht). Ich lerne nur sehr langsam, und manchmal, da sage ich mir: „You never give up". Eines Tages werde ich es geschafft haben. Egal, wie schwer es sein wird, eines Tages werde ich es schaffen.

Frage: Was würde deiner Meinung nach die Schule für dich leichter machen?

S: Was mir helfen würde?

Frage:  Ja, du meintest, du lernst langsamer als andere. Was würde dir in der Schule helfen?

S: Ich selbst, ich helfe mir.

Frage:  Könnten dir die Schule und die Lehrer helfen?

S: Nein, ich muss das selbst in die Hand nehmen. Ich muss wissen, was ich will. Wenn ich zur Schule gehen möchte, dann muss ich dafür sorgen, dass ich dort auch lerne, und ich muss ernsthaft dran bleiben, meine Schulaufgaben zu machen. Ich muss respektvoll meinen Lehrern und Mitschülern gegenübertreten. Ich muss es verstehen, jeden zu lieben. Ich weiß, wenn ich das erreiche, kann ich ein besserer Mensch werden. Ja, so ist das.
 
Interview mit Don (Junge, 16 Jahre) aus Simbabwe,
(geführt von Maren Basfeld im April 2010 bei Johannesburg)
 
Frage:  Wie bist du nach Kids Haven gekommen?

D: Bevor ich nach Kids Haven kam, lebte ich in der Central Methodist Church in Johannesburg (ein Flüchtlingslager für Vertriebene aus Simbabwe). Letztes Jahr im Dezember, da wurde ich zu Hause geschlagen. Nach ungefähr zwei Monaten entschied ich mich, wegzulaufen. Ich ging von zu Hause nach Johannesburg.

Frage:  Wo genau warst du zu Hause?

D: Im Township Kagiso. Ich lief zu Fuß bis nach Johannesburg. Ich ging ganz früh morgens los und erreichte die Stadt abends. Ich lebte für sechs Wochen auf der Straße und entschied mich dann, zur Central Methodist zu gehen. In der Central Methodist, dort war es besser als auf der Straße. Aber die Leute, mit denen ich dort lebte, behandelten mich schlecht. So entschied man, mich zum Sozialamt zu bringen, und so kam ich hierher.

Frage: Verstehe. Wie hast du in der Methodist Kirche gelebt? Hat man dir dort Essen gegeben, oder musstest du arbeiten?

D: Die meiste Zeit musst du selbst arbeiten, alleine. Sie geben dir Frühstück und Abendbrot. Manchmal gibt es was zu Mittag, aber meistens haben sie kein Mittagessen. Normalerweise geben sie dir nur Frühstück und Abendbrot. Doch bevor ich hierher kam, gab es nichts zu essen. Es gab kein Frühstück mehr. Wir aßen nur zu Abend. Wir mussten für Geld arbeiten gehen, und es gab keine Schule. Wir mussten Geld verdienen, um unsere Mägen zu füllen, verstehst du?

Frage:  Ja. Was für Arbeiten hast du da verrichtet?

D: Ich lieh mir das erste Mal 10 Rand (circa 1 Euro) von einem Freund. Davon kaufte ich ein Paket mit Wassereis. Dann verkaufte ich das Päckchen für 2 Rand. So hatte ich am Ende 20 Rand. Dann nahm ich 10 Rand beiseite und gab es dem Freund zurück. Und mit den anderen 10 Rand kaufte ich ein weiteres Paket und hatte 20 Rand für den Tag. Ich verkaufte etwa drei Pakete am Tag. Manchmal machte ich nur 20 Rand am Tag. Ich kaufte Essen für 10 Rand und dann morgens ein neues Paket Wassereis und verkaufte es, verstehst du?

Frage:  Und jetzt bist du hier. Was würdest du denn gerne machen, in deinem Leben?

D: Nach der Schule würde ich gerne Designer für Autos werden. Wenn ich genug Geld zusammenhätte, würde ich mein eigenes Unternehmen gründen. Und danach…. (lacht), es gibt so viele Dinge, die ich gerne tun würde. Die Sache, die ich gerne tun würde, wenn ich Geld hätte, wäre, zu spenden. Momentan ist mein Leben von Sponsoren abhängig.

Frage:  Ja, verstehe.

D: Diese spielen eine gute Rolle in meinem Leben. So werde ich eines Tages auch gut zu den Bedürftigen sein.

Frage:  Du hast gesagt, dass du sechs Wochen auf der Straße gelebt hast. Wie hast du dort überlebt? Was hast du gemacht?

D: In den Straßen hängt dein Leben von Glück ab. Nicht immer findest du genug zu essen. Manchmal schläfst du ein, ohne etwas gegessen zu haben, trinkst nur Wasser. Aish, wenn ich sehr hungrig war, bin ich manchmal zum Parkstation (Hauptbahnhof von Johannesburg) gegangen. Dort verkaufen einige Läden Essen. Wenn die Leute dort aßen, habe ich auf die Essensreste gewartet. Oft aß ich die Essenreste, doch irgendwann habe ich beschlossen, keine mehr zu essen. Da beschloss ich, Eis zu verkaufen.

Frage:  Aber es ist doch sehr gefährlich dort auf der Straße, wenn du an die Kriminalität denkst. Wie hast du dich geschützt?

D: Oh, aish, nicht dass ich kriminell bin, und doch habe ich kriminelle Sachen gemacht. Nachts habe ich niemals geschlafen. Ich schlief erst morgens ein, bis nachmittags. Nachts habe ich Feuer gemacht, dann kamen da einige Drogendealer, sie saßen an meinem Feuer. Als sie schliefen, habe ich ihre Taschen durchsucht und nahm ihr Geld. Davon kaufte ich mir Essen
.
Frage:  Haben sie dich niemals verfolgt?

D: Nein, niemand hat mich gesehen.

Frage:  Da hast du Glück gehabt.

D: Als die wach wurden, war ich schon weg.

Frage: Wo genau in Johannesburg hast du gelebt, in welchem Stadtteil?

D: In der Loft Street, bei der Taxirank Volnerous
.
Frage:  Okay.

D: Ja, dort an der Ecke. Ich war dort immer nachts.

Letzte Aktualisierung dieser Seite: 12.01.2011 (Prof. Dr. H. Weber)Online Kompetenz  |  Sitemap  |    |