Alltag und Lebensunterhalt (Markus Wiencke)
Im Folgenden werden Aspekte des Alltagslebens der Straßenkinder in der Stadt Mwanza beschrieben. Der Alltag steht für Routine und Berechenbarkeit. Sowohl die Zeitstruktur mit ihrer Ordnung des Alltags und ihren Ablaufmustern als auch die räumliche Struktur mit bestimmten Wegen, die tagtäglich zurückzulegen sind, sind relativ invariant.
Unter Überlebensstrategien werden alle Verhaltens- und Handlungsmuster verstanden, die direkt dem physischen und psychischen Überleben dienen. Sie sind unterteilt in Tätigkeiten und Freizeitverhalten. Die Handlungsstrategien dienen dem Erwerb von Geld, Nahrung oder anderen materiellen Guetern.
Arbeiten Der Großteil der Mädchen prostituiert sich zum Gelderwerb. Mädchen machen zwar auch Putzarbeiten oder waschen, doch das spielt keine entscheidende Rolle. Straßenjungen arbeiten, um Geld oder Nahrung zu bekommen.
Zunächst ist da der Frachthafen, in dem beim Ab- und Beladen der Transportschiffe geholfen werden kann. Insbesondere Fisch und Früchte werden hier transportiert. Daneben besteht die Möglichkeit, einzelnen Fischern beim Abladen und Transport zur Hand zu gehen. Manche Jungen sammeln Drahtstücke und basteln daraus Angelhaken, die sie Fischern verkaufen. Andere angeln selbst und verkaufen anschließend den Fisch oder essen ihn selbst.
Das Äquivalent zu den Arbeiten am See sind im Stadtkern vor allem die Marktplätze. Hier helfen Straßenjungen beim Transportieren der Güter und führen Putzarbeiten durch. Außerdem verkaufen sie Eier, Milch und Früchte, sowie Zigaretten, Bonbons oder Kaugummi. Eine andere Möglichkeit ist das Sammeln von Kohlestücken oder Aluminiummüll, die anschließend verkauft werden. Daneben putzen sie oder bieten Handlangertätigkeiten in den vielen kleinen Restaurants und Bars der Stadt an. Oft bekommen sie dafür Essensreste.
Betteln Es ist unmöglich, durch Mwanza zu gehen, ohne immer wieder von Straßenkindern, Jungen und Mädchen, um Geld angebettelt zu werden. Doch ältere Kinder und Jugendliche haben es sehr schwer, denn sie bekommen selten Geld und wenn, dann wahrscheinlich eher von Touristinnen und Touristen.
Das wesentliche Stigma, welches von Seiten der Gesellschaft mit Straßenkindern in Verbindung gebracht wird, ist, dass sie Diebe seien, gefährliche Personen, die die Sicherheit und das Eigentum bedrohen. Inwiefern stimmt das? Was zunächst immer wieder überzeugend in den Interviews gesagt wurde, ist, dass ältere Straßenjungen die jüngeren und Mädchen ausrauben.
Prostitution Fast alle Straßenmädchen prostituieren sich. Das ist die schnellste Art, Geld zu bekommen. Prostitution ist sehr etabliert in Mwanza. Im Stadtzentrum sind nach Eintritt der Dunkelheit viele Straßenmädchen auf der Suche nach Freiern, schon zwölfjährige Mädchen, an denen sich deutlich ein weiteres Stigma zeigt. Denn Reintegrationsversuche von Seiten eines Hilfsprojektes scheiterten bei einem Mädchen daran, dass ihre Mutter sie aus Angst vor AIDS nicht wieder zu Hause haben wollte.
Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass viele Straßenmädchen bereits mit HIV infiziert sind, wobei mir eine prozentuale Prognose jedoch unmöglich erscheint. Die Bezahlung für den käuflichen Sex liegt bei 1000 TS, also etwa 1,25 €. Die Gründe, die zur Prostitution zwingen, sind eindeutig: "Normally they are doing that because of no JOB and because of the POVERTY."
(vgl. Markus Wiencke: Strassenkinder in Tansania, Weissensee Verlag, Berlin 2009, S. 19ff.)
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